Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld...
Susanne Vogel
Schriften und Tagebuch 1944–1945
Herausgegeben von Julia Drinnenberg und Gabriele Hafermaas
Susanne Vogel ist eine literarische Entdeckung.
Ihre Briefe und Texte, die in diesem Band erstmalig erscheinen, sind bedeutsame Zeitzeugnisse. In ihrem Tagebuch 1944-1945 lässt uns die Autorin und Musikerin unmittelbar an ihrem Erleben der Verfolgungsjahre teilnehmen. Die erst vor Kurzem entdeckten autobiographischen Texte ergänzen die Tagebücher Viktor Klemperers, denn sie beschreiben die Situation aus der Sicht einer Frau und erweitern so den Fokus auf diese Zeit.
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Julia Drinnenberg, Gabriele Hafermaas (Hg.)
Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld... Susanne Vogel: Schriften und Tagebuch 1944–1945
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Eva Schulz-Jander
Doch noch wand'l ich auf dem Abendfeld
Eine Einführung in Susanne Vogels Schriften von Julia Drinnenberg
Bärchens Führung und Geleit
Ein Portrait des Vaters Ernst Neißer in Briefform
Über Wafi
Ein Portrait der Mutter Margret Neißer in Briefform
Jugend und die erste große Liebe
Ernst Neißer
Die letzten Lebensjahre meines Vaters, gest. 1942 in Berlin
Brief an ihre Cousine Liselotte Dieckmann
Das Tagebuch Susanne Vogels 1944 bis 1945
Eine Einführung
Tagebuch von Januar 1944 bis April 1945
Nachtrag zum Tagebuch
Abriss meines Lebens
Über die Religion
Erinnerung an Schlesien
Ein Brief von Susanne Vogel an Liselotte Dieckmann
Familienmitglieder Susanne Vogels, die im Holocaust ermordet wurden,
oder in den Suizid getrieben wurden
Der Kunsthistoriker Hans Vogel – ein Wegbereiter der modernen Kasseler Museumsszene
Justus Lange
Anhang
Personenregister
Zeittafel
Bildnachweis
Anmerkungen
Sponsoren
Susanne Vogel war eine zierliche, streitlustige Frau. Wache braune Augen, ein markanter Pagenschnitt, flinke Bewegungen – Susanne Vogel. Ich habe sie in den späten siebziger Jahren bei Wolfgang und Ingrid Hallwachs kennengelernt. Als ich ins Wohnzimmer des kleinen Reihenhauses in der Druseltalstraße kam, saß sie auf dem blauen Sofa und stritt mit Wolfgang Hallwachs, dem Musikkritiker der HNA, über die Interpretation von Beethovens 3. Klavierkonzert. Ich hörte zu und war fasziniert von dieser weißhaarigen, so intelligent argumentierenden Frau. Ihr letzter Satz war: Du kannst es auch nicht verstehen, weil Du es nie gespielt hast. Sagte es, stand auf, verabschiedete sich mit einem fröhlichen Lächeln und ging.
Mir war klar, diese Frau wollte ich näher kennenlernen. Von Hallwachs erfuhr ich, dass sie eine begabte Musikerin sei, aus einer jüdischen Familie stamme, die aber schon vor einer Generation zum Protestantismus übergetreten war, und dass jedes
Gespräch mit ihr ein leuchtendes Feuerwerk sei. Zusammen mit Ingrid Hallwachs besuchte ich Susanne Vogel in Kassel-Kirchditmold, am Juliusstein 3. Ihr Haus schien mir ein Refugium mit Zaubergarten.
Wenn wir über die Wiesen in Kirchditmold spazieren gingen, nannte sie die Pflanzen bei Namen, und den von ihr besonders geliebten, wie die leuchtend gelben Butterblumen, gab sie zuweilen Kosenamen wie Sonnenrädchen, oder Gelberich,
auch einem blauen Engel sind wir einmal begegnet.
Wir unterhielten uns über Natur, Musik, Bücher, zitierten Gedichte. Ich habe sie als
lebenszugewandte, positiv gestimmte Frau gekannt. Nie sprach sie von den schweren Zeiten der Verfolgung, obwohl sie wusste, dass auch wir verfolgt waren, auch meine Mutter Pianistin wie sie, und im Nationalsozialismus eine Pianistin ohne Klavier gewesen war wie auch Susanne Vogel, dennoch sprach sie nie darüber. Bei den Vorträgen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, wo wir uns öfter trafen, bekundete sie ein waches intellektuelles Interesse an den Vorträgen, nie ein emotionales. Jegliche Form von Sentimentalität war ihr fern.
Ihr großes Interesse an den Menschen machte jede Begegnung mit ihr so besonders. Mit ihr waren Gespräche wirkliche Begegnungen im Dialog, im Sinne Martin Bubers. Sie ließ sich ein auf die Andere, fragte nach, hörte zu, und kommentierte. Von sich selbst erzählte sie wenig. Von mir wollte sie zum Beispiel wissen, welche französischen Dichter ich besonders schätze. Und als sie hörte, dass ich über Paul Valéry promoviert hatte, zitierte sie Rilkes Übersetzung von Le Vin Perdu / Der verlorene Wein.
Als Susanne Vogel sich entschloss, ihr geliebtes Haus aufzugeben und ins Mundus¹ zu ziehen, lud sie mich ein, um mir einige Sachen, die sie nicht mitnehmen wollte oder konnte, anzubieten. Obwohl es ihr schwergefallen sein muss, aus dem Haus nach so langer Zeit und mit so vielen Erinnerungen auszuziehen, merkte ich ihr nichts an. Sie war sachlich, bestimmt, zielorientiert, keine Spur von Traurigkeit. Sie hatte ganz andere Trauer durchlebt. Es waren zwei Deckenlampen aus den dreißiger Jahren und ein Teewagen aus der gleichen Zeit, die sie für mich schon bereitgestellt hatte. Als ich einen ausziehbaren Nähkorb auf Rädern sah, fragte ich sie, ob sie den mitnehme. Ihre Antwort: Ach Kindchen Sie wollen doch nicht etwa dieses kleinbürgerliche Möbelstück, es passt nicht zu Ihnen. Ich wollte es und benutze es immer noch für meine „kleinbürgerlichen“ Flickarbeiten.
Um das Bild von Susanne Vogel noch etwas abzurunden, möchte ich etwas über ihre
Beziehung zu den fünf Hallwachs-Kindern hinzufügen. Für alle war sie „Tante Susanne“, die sie begleitete in ihrer Berufswahl, ihnen auf Augenhöhe begegnete und mit ihnen ernste philosophische Gespräche führte. Mit der Flötistin unter den Kindern machte sie gemeinsam Musik und bestärkte sie in ihrem Wunsch, Musikerin zu werden. Alle bestätigen, dass Susanne Vogel für sie immer da war, und wenn sie bei den Eltern kein Gehör fanden, gab es immer „Tante Susanne“, die zuhörte und Rat wusste. Zwei kleine Begebenheiten, die bei den Kindern mehr als fünfzig Jahre später noch lebhaft in Erinnerung sind, sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Der älteste Sohn erzählte, als er als Dreizehnjähriger in einer Runde von Erwachsenen gefragt wurde wen er liebe, und er antwortete:
Ich liebe die Menschen, seien alle in schallendes Gelächter ausgebrochen, bis auf
„Tante Susanne“, die mit: Lasst dem Jungen doch seinen Glauben an das Gute im Menschen, ich verstehe ihn, aus dieser peinlichen Situation befreite. Vielleicht dachte sie in diesem Moment an die „rettenden Engel“, wie sie die Menschen nennt, die ihr in den dunkelsten Momenten halfen und beistanden, Menschen, deren Persönlichkeit sie 1947 in einem Brief an ihre Cousine Liselotte Dieckmann feinfühlig nachzeichnet.
Die zweite Begebenheit erzählte mir die älteste Tochter. Sie besuchte mit ihren kleinen Kindern Susanne Vogel in ihrem Zaubergarten, als diese sich plötzlich an die Kinder wandte und fragte: Was wollt Ihr sein? Und der kleine Junge antwortete: Ich möchte ganz aus Glas sein, verstand sie ihn sofort und antwortete: Dann müssen wir Dir aber ganz schnell ein schützendes Haus bauen. Ob Susanne Vogel sich 1942 in Berlin wohl auch wie „aus Glas“ gefühlt haben mag?
...
Dr. Eva Schulz-Jander
Rezensionen
Mehr Infos
Inhalt
VorwortEva Schulz-Jander
Doch noch wand'l ich auf dem Abendfeld
Eine Einführung in Susanne Vogels Schriften von Julia Drinnenberg
Bärchens Führung und Geleit
Ein Portrait des Vaters Ernst Neißer in Briefform
Über Wafi
Ein Portrait der Mutter Margret Neißer in Briefform
Jugend und die erste große Liebe
Ernst Neißer
Die letzten Lebensjahre meines Vaters, gest. 1942 in Berlin
Brief an ihre Cousine Liselotte Dieckmann
Das Tagebuch Susanne Vogels 1944 bis 1945
Eine Einführung
Tagebuch von Januar 1944 bis April 1945
Nachtrag zum Tagebuch
Abriss meines Lebens
Über die Religion
Erinnerung an Schlesien
Ein Brief von Susanne Vogel an Liselotte Dieckmann
Familienmitglieder Susanne Vogels, die im Holocaust ermordet wurden,
oder in den Suizid getrieben wurden
Der Kunsthistoriker Hans Vogel – ein Wegbereiter der modernen Kasseler Museumsszene
Justus Lange
Anhang
Personenregister
Zeittafel
Bildnachweis
Anmerkungen
Sponsoren
Vorwort
aus dem Vorwort:Susanne Vogel war eine zierliche, streitlustige Frau. Wache braune Augen, ein markanter Pagenschnitt, flinke Bewegungen – Susanne Vogel. Ich habe sie in den späten siebziger Jahren bei Wolfgang und Ingrid Hallwachs kennengelernt. Als ich ins Wohnzimmer des kleinen Reihenhauses in der Druseltalstraße kam, saß sie auf dem blauen Sofa und stritt mit Wolfgang Hallwachs, dem Musikkritiker der HNA, über die Interpretation von Beethovens 3. Klavierkonzert. Ich hörte zu und war fasziniert von dieser weißhaarigen, so intelligent argumentierenden Frau. Ihr letzter Satz war: Du kannst es auch nicht verstehen, weil Du es nie gespielt hast. Sagte es, stand auf, verabschiedete sich mit einem fröhlichen Lächeln und ging.
Mir war klar, diese Frau wollte ich näher kennenlernen. Von Hallwachs erfuhr ich, dass sie eine begabte Musikerin sei, aus einer jüdischen Familie stamme, die aber schon vor einer Generation zum Protestantismus übergetreten war, und dass jedes
Gespräch mit ihr ein leuchtendes Feuerwerk sei. Zusammen mit Ingrid Hallwachs besuchte ich Susanne Vogel in Kassel-Kirchditmold, am Juliusstein 3. Ihr Haus schien mir ein Refugium mit Zaubergarten.
Wenn wir über die Wiesen in Kirchditmold spazieren gingen, nannte sie die Pflanzen bei Namen, und den von ihr besonders geliebten, wie die leuchtend gelben Butterblumen, gab sie zuweilen Kosenamen wie Sonnenrädchen, oder Gelberich,
auch einem blauen Engel sind wir einmal begegnet.
Wir unterhielten uns über Natur, Musik, Bücher, zitierten Gedichte. Ich habe sie als
lebenszugewandte, positiv gestimmte Frau gekannt. Nie sprach sie von den schweren Zeiten der Verfolgung, obwohl sie wusste, dass auch wir verfolgt waren, auch meine Mutter Pianistin wie sie, und im Nationalsozialismus eine Pianistin ohne Klavier gewesen war wie auch Susanne Vogel, dennoch sprach sie nie darüber. Bei den Vorträgen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, wo wir uns öfter trafen, bekundete sie ein waches intellektuelles Interesse an den Vorträgen, nie ein emotionales. Jegliche Form von Sentimentalität war ihr fern.
Ihr großes Interesse an den Menschen machte jede Begegnung mit ihr so besonders. Mit ihr waren Gespräche wirkliche Begegnungen im Dialog, im Sinne Martin Bubers. Sie ließ sich ein auf die Andere, fragte nach, hörte zu, und kommentierte. Von sich selbst erzählte sie wenig. Von mir wollte sie zum Beispiel wissen, welche französischen Dichter ich besonders schätze. Und als sie hörte, dass ich über Paul Valéry promoviert hatte, zitierte sie Rilkes Übersetzung von Le Vin Perdu / Der verlorene Wein.
Als Susanne Vogel sich entschloss, ihr geliebtes Haus aufzugeben und ins Mundus¹ zu ziehen, lud sie mich ein, um mir einige Sachen, die sie nicht mitnehmen wollte oder konnte, anzubieten. Obwohl es ihr schwergefallen sein muss, aus dem Haus nach so langer Zeit und mit so vielen Erinnerungen auszuziehen, merkte ich ihr nichts an. Sie war sachlich, bestimmt, zielorientiert, keine Spur von Traurigkeit. Sie hatte ganz andere Trauer durchlebt. Es waren zwei Deckenlampen aus den dreißiger Jahren und ein Teewagen aus der gleichen Zeit, die sie für mich schon bereitgestellt hatte. Als ich einen ausziehbaren Nähkorb auf Rädern sah, fragte ich sie, ob sie den mitnehme. Ihre Antwort: Ach Kindchen Sie wollen doch nicht etwa dieses kleinbürgerliche Möbelstück, es passt nicht zu Ihnen. Ich wollte es und benutze es immer noch für meine „kleinbürgerlichen“ Flickarbeiten.
Um das Bild von Susanne Vogel noch etwas abzurunden, möchte ich etwas über ihre
Beziehung zu den fünf Hallwachs-Kindern hinzufügen. Für alle war sie „Tante Susanne“, die sie begleitete in ihrer Berufswahl, ihnen auf Augenhöhe begegnete und mit ihnen ernste philosophische Gespräche führte. Mit der Flötistin unter den Kindern machte sie gemeinsam Musik und bestärkte sie in ihrem Wunsch, Musikerin zu werden. Alle bestätigen, dass Susanne Vogel für sie immer da war, und wenn sie bei den Eltern kein Gehör fanden, gab es immer „Tante Susanne“, die zuhörte und Rat wusste. Zwei kleine Begebenheiten, die bei den Kindern mehr als fünfzig Jahre später noch lebhaft in Erinnerung sind, sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Der älteste Sohn erzählte, als er als Dreizehnjähriger in einer Runde von Erwachsenen gefragt wurde wen er liebe, und er antwortete:
Ich liebe die Menschen, seien alle in schallendes Gelächter ausgebrochen, bis auf
„Tante Susanne“, die mit: Lasst dem Jungen doch seinen Glauben an das Gute im Menschen, ich verstehe ihn, aus dieser peinlichen Situation befreite. Vielleicht dachte sie in diesem Moment an die „rettenden Engel“, wie sie die Menschen nennt, die ihr in den dunkelsten Momenten halfen und beistanden, Menschen, deren Persönlichkeit sie 1947 in einem Brief an ihre Cousine Liselotte Dieckmann feinfühlig nachzeichnet.
Die zweite Begebenheit erzählte mir die älteste Tochter. Sie besuchte mit ihren kleinen Kindern Susanne Vogel in ihrem Zaubergarten, als diese sich plötzlich an die Kinder wandte und fragte: Was wollt Ihr sein? Und der kleine Junge antwortete: Ich möchte ganz aus Glas sein, verstand sie ihn sofort und antwortete: Dann müssen wir Dir aber ganz schnell ein schützendes Haus bauen. Ob Susanne Vogel sich 1942 in Berlin wohl auch wie „aus Glas“ gefühlt haben mag?
...
Dr. Eva Schulz-Jander
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