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Euregioverlag - Kassel & Region, Kunst & Kultur
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Schulz-Jander, Eva
Von Kassel nach Haifa
Die Geschichte des glücklichen Juden Hans Mosbacher



Mit Vorworten von Bertram Hilgen, Dan Fessler und Wolfdietrich Schmied-Kowarzik und einem Nachwort von Benyamin Maoz



Umfang: 160 S. mit 45 schw.-w. Abb., kartoniert



euregioverlag 2008

ISBN: 978-3-933617-33-0



Diese Geschichte über das Leben Hans Mosbachers, der als Jude 1937 aus Kassel vertrieben wurde und mit seiner Familie nach Palästina ging, erlaubt einen Einblick in das zerstörte deutsche Judentum, exemplarisch dargestellt an der Lebensgeschichte eines typischen Vertreters des selbstbewussten jüdischen Bürgertums vor 1933 in Deutschland, eines Mannes, der sich durch vielseitige Interessensgebiete und Tätigkeitsfelder, vor allem aber durch Humor und Lebenswitz auszeichnete. Dieses Buch unterscheidet sich von den vielen Vertreibungsgeschichten, denn es erzählt keine Opfergeschichte, sondern die eines Lebenskünstlers.
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Rezensionen
„Es erscheint wie ein Tabubruch: Die Kasseler Autorin Eva Schulz-Jander will 'den glücklichen Juden als Legende in die Welt setzen'. Ihr gerade erschienenes Buch 'Von Kassel nach Haifa' über den Kasseler Juden Hans Mosbacher soll 'das Jüdische aus dem Ghetto des permanenten Unglücks herausholen'. 'Die Geschichte des glücklichen Juden', so der Untertitel, erzählt von der unbeschwerten Kindheit und Jugend Mosbachers, der 1882 in Kassel geboren wurde. Der Vater betrieb eine Wollwäscherei, die der Sohn 1923 übernahm. Mosbacher gehörte einer wohlhabenden jüdischen Familie an, für die nicht die Religion, sondern die Kultur im Vordergrund stand. 'Darüber', so die Literaturwissenschaftlerin Schulz-Jander, 'ist in Deutschland wenig bekannt, vieles ist im Loch der Schoah untergegangen'. ... Ihr Buch provoziert erwartungsgemäß Kritik: 'Einige Leser haben Mühe damit, dass nichts Dramatisches passiert', der Vorwurf der Verdrängung wurde gar laut. Das Buch verschweigt freilich nicht das Leid, das Juden angetan wurde, doch es beschreibt auch, was im öffentlichen Erinnerungsdiskurs unterzugehen droht: Es gab Zeiten, in denen Juden in Deutschland glücklich lebten. Mosbachers Sohn Benyamin macht im Nachwort klar, dass ehemalige Kasseler Juden wie er durchaus 'Spaß am Leben haben'.“ (Ralf Pasch in der Frankfurter Rundschau)
Mehr Infos
Hans Mosbacher war ein wohlhabender Kasseler Bürger jüdischer Herkunft, der im wilhelminischen Kaiserreich aufwuchs und sich durch seinen Esprit in besonderer Weise auszeichnete. Als er im Alter von 55 Jahren durch den Antisemitismus der Nationalsozialisten gezwungen war, mit seiner Familie nach Haifa zu emigrieren, bewahrte er sich dennoch seine Lebensfreude, seinen Humor und seine Treue zu Kassel. Der in die deutsche Kultur vernarrte Mosbacher stellt damit eine Außenseiterfigur dar, für die das kollektive Gedächtnis der Erinnerungskultur heute keine Worte findet.



Diese Worte fand die Chronistin Eva Schulz-Jander. Und sie fand auch die Worte, um die von Mosbacher so geliebte Stadt aus den Strahlen ihrer Vergangenheit wiederentstehen zu lassen. Mosbachers Sohn Benyamin Maoz, Direktor der psychiatrischen Abteilung des Soroka Medical Centre an der Ben Gurion Universität, schrieb ein bewegendes Nachwort.



"Die Autorin Eva Schulz-Jander lässt uns durch ihre Erzählung am Leben des wohlhabenden jüdischen Bürgers Hans Mosbacher teilhaben. Wir lernen einen Menschen kennen, der sich, trotz des Schicksals, welches er mit vielen jüdischen Emigranten aus Deutschland geteilt hat, die Fähigkeit zum Glücklichsein bewahrt und nie seine Lebensfreude, seinen Humor und seinen Sprachwitz verloren hat. Es ist ein wunderbares Buch." (Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Bertram Hilgen)



"Benyamin Maoz erzählt der Autorin Eva Schulz-Jander von seinem Vater Hans Mosbacher, der als angesehener Kasseler Bürger nach Erniedrigungen und Schikanen sich 1937 gezwungen sah, mit seiner Familie sein geliebtes Kassel zu verlassen. Über Benyamin Maoz’ Erzählungen ist Hans Mosbacher mit all seinen Erinnerungen über viele Umwege wieder nach Kassel zurückgekehrt. Die 'Geschichte des glücklichen Juden Hans Mosbacher' stimmt uns wehmütig und versöhnlich zugleich."

(Dr. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik)





Inhalt
Vorwort
Kassel besaß einst eine große jüdische Gemeinde, die sich der Stadt verpflichtet wusste. Die jüdischen Bürgerinnen und Brüger waren bis zur nationalsozialistischen Barbarei in unserer Stadt integriert; sie lebten unter uns, waren Teil der Stadtgesellschaft, und leisteten einen bedeutenden Beitrag zum sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben Kassels. Das hat sie nicht geschützt; sie haben nach 1933 unter den entsetzlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands gelitten, viele von ihnen verloren ihr Leben. Ihr Beitrag zur Geschichte unserer Stadt wurde ausgelöscht.



Die Autorin Eva Schulz-Jander hat jetzt die Lebensgeschichte des wohlhabenden jüdischen Bürgers Hans Mosbacher aufgeschrieben, der 1937 aus Kassel vertrieben wurde und mit seiner Familie nach Palästina auswanderte. Hans Mosbacher war einer jener typischen Vertreter eines selbstebewussten, gebildeten und liberalen jüdischen Bürgertums, die nach der "Machtergreifung", dem Terror der Nazis und der Entrechtung durch die "Nürnberger Gesetze" 1935 zunächst in Deutschland blieben. Sie betrachteten sich als Deutsche, und hatten starke Bindungen an ihre Heimat. Gewaltsam wurde ihnen diese Verbundenheit ausgetrieben, aus dem sozialen und kulturellen Umfeld, das sie prägte, wurden sie herausgerissen.



Doch obgleich Hans Mosbacher das Schicksal vieler jüdischer Emigranten aus Deutschland teilt, die sich in Palästina niederließen, so hat er doch nie seine Lebensfreude, seinen Humor und seinen Sprachwitz verloren. Die emotionale Bindung zu seiner Kasseler Heimat nahm er mit nach Haifa, und so lebte in Israel in der Familie und im Freundeskreis ein Stück Kassel weiter.



Die Brücke, die Hans Mosbacher zwischen Haifa und Kassel entstehen ließ, betraten alle Familieingenerationen nach ihm. Seinem Sohn Benyamin Maoz ist es ein Anliegen geblieben, Kinder und Enkel - auch die seines Bruders - auf eine Reise einzuladen und sie dabei zu begleiten: in die Vaterstadt, zu ihren Wurzeln, zu den Gräberrn ihrer Vorfahen auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Bettenhausen.



Benyamin Maoz war sieben Jahre alt, als die Familie nach Palästina aufbrach. Es ist ein liebevoller Blick zurück, wenn er in seinen Erinnerungen das Bild seines Vaters zeichnet. Eva Schulz-Jander lässt uns durch ihre Erzählung am Leben Hans Mosbachers teilhaben. Wir lernen einen Menschen kennen, der sich die Fähigkeit zum Glücklichsein bewahrt hat. Doch blicken wir gleichzeitig auf die aussterbende Welt des früheren deutschen Judentums. Denn so sehr diese bemerkenswerte Chronik diesem lebensfrohen Menschen ein sprachliches Denkmal setzt und dem gängingen Erinnerungsdiskurs widerspricht, so macht sie uns gleichzeitig schmerzlich bewusst, wie viel wir verloren haben.



Es ist ein wunderbares Buch, das uns Eva Schulz-Jander und Benyamin Maoz geschenkt haben. Ich wünsche ihm viele Leserinnen und Leser.



Bertram Hilgen

Oberbürgermeister der Stadt Kassel
Leseproben
Über viele Umwege wieder zurück nach Kassel“



Benyamin Maoz erzählt Eva Schulz-Jander von seinem Vater Hans Mosbacher (1882–1973), der als angesehener Kasseler Bürger nach Erniedrigungen und Schikanen sich 1937 gezwungen sah, mit seiner Familie sein geliebtes Kassel zu verlassen. Er fand in Haifa ein neues Zuhause und baute dort für sich und seine Familie eine solide Existenz auf. Zwar freute er sich, mit anderen zusammen in Haifa in einem deutschsprachigen Kulturkreis zu leben und über eine Leihbibliothek an die große deutsche Literatur herankommen zu können, sein Herz aber hing bis zu seinem Tod an seiner Heimatstadt Kassel.

Sein Sohn Benyamin Maoz, der als 7-Jähriger nach Palästina kam, versteht sich vollständig – nicht nur durch die Namensgebung dokumentiert – als Bürger des Staates Israel. Trotzdem lebt die unerfüllte Sehnsucht des Vaters im Sohn fort, dies bindet ihn noch heute an seine Geburtsstadt Kassel. Nicht so sehr seine Erinnerungen an die Kindheitstage sind es, die ihn die alten, meist zerstörten Häuser und Plätze aufsuchen lassen, sondern die Erzählungen seines Vaters von Verwandten und Bekannten, die ihn bei seinen Streifzügen durch das heutige Kassel begleiten, von denen er Eva Schulz-Jander berichtete.

Über Benyamin Maoz’ Erzählungen ist Hans Mosbacher mit all seinen Erinnerungen über viele Umwege wieder nach Kassel zurückgekehrt. Zwar war Hans Mosbacher nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah an den Juden Europas mehrfach zu Besuch in Kassel gewesen, und er hatte sich auch schon Anfang der 50er Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft erneuern lassen, aber seine imaginäre Rückkehr über den Bericht seines Sohnes ist doch etwas tief Anrührendes.

Wie sehr hätte sich Hans Mosbacher über den ersten Internationalen Franz-Rosenzweig-Kongress 1986 in Kassel zum 100. Geburtstag von Franz Rosenzweig gefreut, zu dem so viele jüngere Verwandte, Freunde und Rosenzweig-Forscher aus aller Welt nach Kassel angereist kamen. Dies wäre wieder sein Kassel gewesen, denn natürlich kannte Hans Mosbacher Franz Rosenzweig, den vier Jahre Jüngeren, noch aus Kindheitstagen, die Familien lebten zeitweise kaum einen Steinwurf weit von einander entfernt.

Mehr noch hätte ihn gerührt, dass sein jüngerer Sohn Benyamin Maoz 1994 auf die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur der Universität Kassel berufen wurde. Stolz hätte er zur Kenntnis genommen, mit welchem Interesse und welcher Faszination die Studenten in Kassel dem gepflegten Deutsch der Vorlesungen des Professors aus Beer Sheva folgten und sich in dessen Seminaren engagierten. Aber am meisten hätte er die Streifzüge genossen, die sein Sohn und seine Schwiegertochter mit seinen Enkeln und Urenkeln durch sein erinnertes Kassel unternahmen.

Dies ist das eigentümlich Irrationale, das uns beim Lesen dieser „Geschichte des glücklichen Juden Hans Mosbacher“ ergreift. Sie stimmen uns wehmütig und versöhnlich zugleich. Diese Welt, die hier erinnert wird, war ein lebendiger Teil unserer deutschen Kultur. Sie ist mutwillig und brutal von deutschen Bürgern zerstört worden. Keine Erzählung, auch nicht die von einem „glücklichen Juden“, eines Optimisten, der – trotz aller Gräuel von Auschwitz – im langen Atem der Geschichte sogar Recht behalten hat, kann uns in Deutschland aus Schmerz und Trauer befreien, wenn wir mit diesem Abschnitt unserer Geschichte konfrontiert werden, die immer unsere Geschichte bleiben wird. Und doch überwiegt das Versöhnende in diesem Buch über Hans Mosbacher. Dies liegt darin, dass uns seine Geschichte von seinem Sohn Benyamin Maoz in dessen unverwechselbar vom Vater ererbten, humorvollen Art überliefert wird, die uns ermöglicht, mit der Trauer umzugehen.

Schon seine autobiographische Skizze, die Benyamin Maoz für den Band der Franz-Rosenzweig-Gastvorlesungen „Vergegenwärtigung des zerstörten jüdischen Erbes“ (1997) schrieb, trug die Überschrift „Von Kassel nach Haifa“. Diese Skizze schrieb er in Gedanken an seinen Vater. Nun erzählt er unter dem gleichen Titel „Von Kassel nach Haifa“ die Lebensgeschichte seines Vaters und bekennt der Chronistin Eva Schulz-Jander, dass er sie erzählen muss, weil es seine eigene Geschichte ist. Es ist etwas sehr Eigentümliches, wie oft das unerfüllte Sehnen der Elterngeneration in der Kindergeneration fortlebt und dabei oftmals eine nicht mehr tatsächliche, aber seelische Erfüllung finden kann.





Wolfdietrich Schmied-Kowarzik







Rückkehr nach Kassel 1907–-1918



Ausgerüstet mit einem soliden Wissen seines Handwerks, der Fähigkeit, sich mühelos in Englisch und Französisch verständigen zu können, und vor allem begleitet von einer Ehefrau kehrte Hans Mosbacher im März 1907 nach Kassel zur Wollwäscherei in Bettenhausen zurück. Die Jahre in England hatten ihn nachhaltig geprägt, so dass er vieles an England sein Leben lang schätzte. So versuchte er, etwas von der englischen Mentalität in sein deutsches Leben mitzunehmen, etwa den Humor, den nüchternen Realismus oder die Höflichkeit. Auch das politische System, die Demokratie Englands, schätzte er als die ideale und für Deutschland erstrebenswerte Regierungsform. England blieb ihm ein geliebtes Land, sozusagen ein Vorbild, auch später im Palästina unter britischem Mandat. Aber er wäre nicht Hans Mosbacher gewesen, wenn er nicht seine große Liebe zu England auch auf humoristische Weise ironisiert hätte. Ein kleiner handgeschriebener undatierter Zettel in meinem „blauen Archiv“ kleidet die Verehrung Englands, die zuweilen bis hin zur Verneinung der eigenen Herkunft geht, in leichte Verse:



England, England

War Annies Ideal

England, England

So was gibt’s nur einmal.

Da wird so leicht man

Britisch & zeigt nicht

Dass man Jiddisch

Spricht Englisch perfekt

Mit Kassler Dialekt

& schwärmt für das Land

Seiner Wahl



Darunter steht in Klammern (Melodie: „Daisy – Daisy“). Benyamin erinnert sich, dass Hans Mosbacher diese Verse 1943 in Haifa für Anni Wertheim, geborene Diespecker geschrieben hat. Schwingt hier nicht auch ein wenig Selbstironie mit?

Hans und Dorothy Mosbacher haben 1908 geheiratet. Benyamins Schwester, Miriam (Martha) glaubt, dass sie in Düsseldorf geheiratet haben. Warum in Düsseldorf, weiß sie nicht. Eine Urkunde oder Ketuba ist nicht auffindbar. Aber Miriam weiß, dass es eine richtige jüdische Hochzeit gab mit einer Chupah, und meint sogar, dass Leo Baeck die beiden getraut habe. Ob es stimmt? Diese Frage ist eher zweitrangig. Denkt sie an Leo Baeck, den großen deutschen Rabbiner der Moderne, zu Ehren ihrer Eltern? Oder ist der Name Baecks der einzige, der ihr vom deutschen Rabbinertum einfällt? Die Erinnerung der 87-Jährigen, die im Elternheim auf dem Carmel in Haifa lebt und ihre Eltern so erinnert haben möchte, das ist doch das, was letzten Endes zählt. Fakten verstellen (eben) oft die Wahrheit.

Hans und Dorothy wohnten in der Kölnischen Straße 92. 1909 wurde der erste Sohn, Ernst, geboren und neun Jahre später, 1918, Martha. Benyamin kam erst 1929 zur Welt. Er ist der Sohn einer zweiten Ehe. Dorothy gab Klavierunterricht, Hans kümmerte sich um die Wollwäscherei. Trotz seiner glücklichen Lehrjahre in Frankreich und England war ihm die Arbeit in der Wollwäscherei eher ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Auf keinen Fall verband ihn irgendeine Leidenschaft damit. Zu Hause erzählte er selten etwas von seinem Leben im Geschäft, so dass Geschichten aus dem Berufsleben Hans Mosbachers nicht tradiert wurden. Die Geschäfte gingen gut, trotz seines anscheinend geringen Einsatzes. So hatte die Familie keine materiellen Sorgen.

Hans Mosbacher widmete seine ganze Leidenschaft dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Man ging in Konzerte, in die Oper, ins Theater und veranstaltete Feste. Hans Mosbacher besaß eine umfangreiche, vorbildlich geordnete Bibliothek. Die vorbildliche Ordnung scheint Benyamin besonders erwähnenswert: Deutsche Autoren chronologisch geordnet, daneben englische Autoren: unter anderem Shakespeare, Wordsworth, Dickens und Thackeray. Es gab eine französische Abteilung mit Corneille, Racine Molière, Stendhal, Flaubert und Gide. Auch jüdische Werke gab es in der Bibliothek von Hans Mosbacher, die Gebetbücher und Machsorim (Gebetbücher für die Feste), natürlich die Bibel in verschiedenen Übersetzungen, von Zuns, Buber und Rosenzweig, Luther und anderen; Philosophen wie Maimonides und Hermann Cohen, Buber und Rosenzweig sowie die Schriften von Leo Baeck. Es gab Bücher zum Zionismus und über Palästina. Den Talmud gab es nicht in seiner eigenen Bibliothek, den hatte er nur für seinen Sohn Ernst gekauft, als dieser sich auf das Amt des Rabbiners vorbereitete. Es gab ein thematisch geordnetes Verzeichnis der Bücher, das jedoch verloren gegangen ist, so dass nur ein Bruchteil der großen Sammlung in der Erinnerung bewahrt blieb.

Hans Mosbacher hielt Vorträge zu literarischen, historisch-archäologischen und politisch-soziologischen Themen, die ihn weit mehr als die Bilanzen der Wollwäscherei beschäftigten. Nach einem Vortrag über den „Gilden Sozialismus“ wurde er zum Handelsrichter in Kassel ernannt. Benyamin nimmt an, dass sein Vater diese Vorträge in den verschiedenen Vereinen, in denen er Mitglied war, hielt. Eine Einladung des „Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung“ vom 29. April 1909 scheint dies zu bestätigen. Hierin wird in den Wittelsbacher Hof zu einem Vortrag „Ueber neuere Rohstoffe der Wollindustrie“ eingeladen, zu einem Vortrag, gehalten von Hans Mosbacher.

Neben den öffentlichen Vereinen und Gilden gab es im Leben des Hans Mosbacher noch den halb-öffentlichen/halb-privaten Raum der Leseabende, ein Salon, in dem Freunde sich regelmäßig trafen und über literarische, philosophische oder politische Themen sprachen. Sie pflegten die Konversation als eine erlesene Kunst der Geselligkeit. Teilnehmen konnte nur, wer auch eingeladen war. Benyamin erinnert sich lebhaft daran:



Hans Mosbacher war viele Jahre lang ein treues Mitglied des so genannten „Leseabends“. Dieses war ein regelmäßiges Treffen guter Freunde, darunter auch Nichtjuden, die zusammen „schwere Literatur“ und Philosophie gelesen und darüber diskutiert und gestritten haben.



Eingeladen waren die Rubensohns – Emil Rubensohn war der Vorsitzende der Kant-Gesellschaft –, die Oppenheimers – vor allem Trudchen Oppenheimer, ihr Name fällt immer wieder –, die Hallos – Rudolph Hallo, der Kunsthistoriker und seine Frau Gertrud –, Helene Müller mit den „sozial schwierigen Kindern“, Karl Herrmann und Frieda Sichel („Wenn die Frieda Sichel einen Vortrag hält, dann redet der Mund weiter, bis sie einen neuen Gedanken hat.“) Welche waren die Nichtjuden, die dazu kamen? Hierzu gehörten das Ehepaar Rudell und die Ferchaus, die regelmäßige Gäste bei den Leseabenden waren. Gemeinsam lasen die Freunde die Klassiker aber vor allem Goethes „Faust“, Dante, Kant und Nietzsche, erinnert sich Benyamin. Keiner, der an diesen Leseabenden teilgenommen hat, lebt heute noch. Was mag sie gefesselt haben an Faust, dieser deutschesten aller deutschen Figuren?

Hans Mosbachers Leidenschaften waren zweifellos das Lesen und Schreiben. Er blieb noch jahrelang freier Journalist des „Journal de Roubaix“ und der „Yorkshire Post“. Seine journalistischen Beiträge behandelten das Wollgeschäft, technische Erneuerungen, neue Produktionsverfahren, aber auch das gesellschaftlich-kulturelle Leben in Kassel. Als Korrespondent für ausländische Zeitungen, freier Mitarbeiter der „Casseler Nachrichten“ und Verfasser deutscher Gebrauchstexte hatte er in diesen Jahren ausreichend Gelegenheit, seiner Lust, dem Schreiben, nachzugehen. Hans Mosbacher schrieb leicht und in vielen Gattungen.

Mein „blaues Archiv“ enthält viele Gelegenheitsgedichte, einige kleine Theaterstücke, die Hans zu Geburtstagen und anderen Anlässen schrieb und dann unter großem Beifall vortrug, sowie einige Essays. Hans Mosbacher war ein sparsamer Mensch und schrieb seine Texte mit der Schreibmaschine auf hauchdünnem Durchschlagpapier aus der Firma Mosbacher. Das Papier ist inzwischen vergilbt, so dass die Schriftstücke nur schwer lesbar sind. Sie drohen in den Händen zu zerkrümeln. Die Emigration und die vielen Umzüge haben sie aber überstanden. Warum hat der Sohn sie bei allen seinen Umzügen immer wieder, verschlossen in den verschiedenen Kartons, mitgeschleppt? Wer außer mir hat sie je wieder gelesen? Diese Texte reisten mit dem „Lift“ von Kassel nach Haifa und schließlich kamen sie, über viele Umwege, wieder zurück nach Kassel. Das hätte Hans Mosbacher gefallen. Er hatte Sinn für das Skurrile, Überraschende und nicht immer Logische.

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