Künstlertagebuch eines langen Abschieds
Ein wichtiges Buch zum Thema ALZHEIMER
Mit einem Vorwort von Andreas Kruse
Umfang: 192 Seiten, Großformat mit vielen Bildern, 4-farbig
euregioverlag 2006
ISBN 978-3-933617-25-5
"Bilder, die das Innerste berühren, Worte, die ergreifen und bei allem Erschrecken auch wieder versöhnen. Nie zuvor habe ich eine Ausstellung und Buchpräsentation erlebt, in der so widerstreitende Gefühle geweckt wurden und in der so Persönliches und Intimes über Liebe und Entfremdung, Verbundenheit und Tod gezeigt und gesagt wurde."
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Blase, Karl Oskar
Wollten wir nicht Bilder machen?
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Bilder, die das Innerste berühren, Worte, die ergreifen und bei allem Erschrecken auch wieder versöhnen. Nie zuvor habe ich eine Ausstellung und Buchpräsentation erlebt, in der so widerstreitende Gefühle geweckt wurden und in der so Persönliches und Intimes über Liebe und Entfremdung, Verbundenheit und Tod gezeigt und gesagt wurde. Ein Wagnis bis zuletzt. (Kulturmagazin K)
"Am Ende zählen nur Würde und Liebe. Der Künstler Karl Oskar Blase schrieb ein Tagebuch über den langen Abschied von seiner an Alzheimer erkrankten Frau von Marianne Kreikenbom"
"Die Diagnose 'Alzheimer' ist für die Angehörigen der Betroffenen ein Schock. Sie verändert das Leben auf beiden Seiten. Eine große Herausforderung für all jene, die mit Demenzkranken zusammenleben, bestehe darin, Zugang zu deren innerer Welt zu finden, heißt es im Vorwort zu Karl Oskar Blases Künstlertagebuch 'Wollten wir nicht Bilder machen?'. Der Titel zitiert eine Frage seiner an Alzheimer erkrankten Frau Marga. Diese Frage bedeutet für den Kasseler Maler und Grafiker nicht nur deren überraschende Erinnerung an einen von ihm gemachten Vorschlag, sondern ermöglicht ihm zumindest zeitweilig den genannten Zugang. 'Ihr Gesicht erschien mir immer, seitdem ich sie kenne, in meinen Bildern', erklärt Blase. Sie war fünfzig Jahre seine Muse und sein Modell, seine Gesprächspartnerin, seine Geliebte und nicht zuletzt die Mutter seiner vier Söhne, von denen der Erstgeborene vierjährig starb. In der Werkkunstschule Wuppertal hatten sie sich kennen gelernt. Sie heirateten 1952 und zogen 1959 nach Kassel. Blase entwarf unter anderem Plakate, Signets und Kataloge für die documenta-Ausstellungen. Erste Anzeichen für die Erkrankung seiner Frau hatte es bereits 1997 gegeben. 'Wer sind Sie denn eigentlich, sind Sie meine Mutter oder mein Vater und überhaupt, wer sind Sie?', fragte sie vier Jahre später auf einem der gemeinsamen täglichen Spaziergänge. 'Von diesem Tag an war alles anders, und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte', erklärt Blase. Ab Anfang 2001 beginnt er Tagebuch zu führen.
Er sucht nach Kommunikationsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkten, probiert 'das gesamte Programm der Erinnerungsarbeit aus'. Ohne jeden Erfolg. Erst der eher beiläufige Vorschlag, wie früher Bilder von ihr zu machen, Fotos und Grafiken, findet unerwartet Margas Interesse. 'Von diesem Tage an hatten wir so etwas wie ein normales Arbeits- und Kommunikationsverhältnis aus früherer Zeit wiedergefunden.' Blase kombiniert die entstehenden Zeichnungen und Fotos seiner Frau mit den Tagebuchtexten und fertigt farbige Collagen, die nun auch das Buch illustrieren. Es sind keine 'Schreckensbilder', auch wenn man dem Blick seiner Frau gelegentlich eine gewisse Welt-Abwesenheit anzusehen glaubt. Die gemeinsame Arbeit hält ihre Krankheit letztlich nicht auf. Die Frage, wer er eigentlich sei, bleibt alltäglich. Doch sie kann einen 'gerissenen Faden' aufnehmen und eine Zeitlang die ihr über Jahrzehnte vertraute Rolle sich erinnernd wieder übernehmen. Man ist als Leser dieses Tagebuchs immer gewiss, dass hier auch an der Grenze menschlicher Belastbarkeit nur die Würde und Liebe zählen. Dass Marga ein tiefes Vertrauen fühlt zu dem Menschen, den sie als ihren eigenen Mann längst nicht mehr erkennt. Marga ist eine schöne, eine attraktive Frau, auch noch im weit fortgeschrittenen Stadium ihrer Krankheit, als sie nach einem Sturz im Rollstuhl sitzt und bettlägerig wird. Sie sehe nicht aus wie eine 71-Jährige, sagen die Mitbewohner des Pflegeheims dem Ehemann immer wieder, und vielleicht ist es ihm ein Trost. Er berichtet im Tagebuch wenig über sich und seine Gefühle. 'Du bist tiefunglücklich, aber gut', meint Marga einmal. Sie stirbt am 22. Juli 2006 und wird in der Kasseler Künstler-Nekropole begraben, unter dem 2001 von Karl Oskar Blase geschaffenen 'momentum' - einem stilisierten Auge aus Beton."
Andreas Kruse 4
Einleitung
Karl Oskar Blase 6
Tagebuch
Karl Oskar Blase 14
Biografie 191
Das vorliegende Buch kann hier sehr wichtige, fruchtbare Anregungen geben. Denn in diesem beschreibt der Kasseler Künstler Karl Oskar Blase das Erleben und Verhalten seiner demenzkranken Frau Marga - und er tut dies eben nicht in abstrakter Form, in abstrakter Sprache, sondern vielmehr in Form von sehr konkreten, lebensnahen Tagebuchaufzeichnungen. Er führt Tagebuch darüber, was seine Frau ausagt, wie sie sich verhält - Menschen und Dingen gegenüber - wie sie sich mit Anforderungen im Alltag auseinandersetzt - sozialen und alltagspraktischen Anforderungen. Dabei teilt sich dem Leser in diachronischer Betrachtung eine Persönlichkeit mit, die zwar an einer fortschreitenden Demenz - mithin an einer sehr schweren psychischen Erkrankung - leidet, die jedoch zugleich Kontinuität im Erleben und Verhalten vermittelt: Verbirgt sich hinter dieser Kontinuität die Identität seiner Frau? Und wie lange bleibt diese Identität erhalten?
Die Tagebuchaufzeichnungen vermitteln ein eindrucksvolles Bild der Kontinuität wie auch der Kontinuitätsbrüche im Erleben und Verhalten von Marga Blase. Vor allem aber zeigen sie uns, dass hinter scheinbar "sinnlosem" Verhalten vielfach Stimmigkeiten sichtbar werden, wenn dieses Verhalten zum einen aus der Perspektive der Biografie, zum anderen aus der Perspektive der Umwelt und der Lebenssituation betrachtet wird, in der Marga lebt und handelt. Zudem drängt sich der Eindruck auf, dass manche Äußerung, dass manche Verhaltensweise der Erkrankten einen "fraktionierten" Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen darstellt.
Nun stößt auch Sprache an Grenzen, wenn es um den Versuch einer ganzheitlichen Darstellung eines Menschen geht. Wie offenbart sich dieser Mensch in seinem Handeln, in seinem Gestus, in seiner Mimik? Oder in den Worten der deutsch-amerikanischen Philosophin und Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt ("Vita activa oder vom tätigen Leben"): Wie bewegt sich dieser Mensch "auf der Bühne der Welt", im "öffentlichen Raum"? Wenn wir eine Antwort auf diese Frage geben wollen, dann ist es ratsam, Sprache und Bild miteinander zu verbinden. Und genau hier setzt der Künstler Karl Oskar Blase an. Intuitiv findet er Halt und Hilfe bei dem Medium, das beider Leben geprägt hat und durch das sie zumindest für kurze Sequenzen Nähe, Vertrautheit und Kontinuität zurückgewinnen: Die Malerei. Er portraitiert Marga, wie er es wohl unzählige Male zuvor getan hat. Indem sie ihm Modell sitzt oder kritische Blicke auf das Werk wirft, kann Marga anknüpfen an eine Rolle, die sie Jahrzehnte mit großer Freude und Sachkunde erfüllt hat. Wer leichtfertig glaubte, die Demenz zerstöre die Persönlichkeit und raube den Erkrankten ihre Individualität, wird durch die Portraits eines Besseren belehrt. Marga Blase strahlt eine stille - mitunter fast trotzige Würde aus.
Der Heidelberger Philosoph und Psychiater Karl Jaspers hat sich in seinem Werk "Philosophie" ausführlich mit den Grenzsituationen auseinandergesetzt, in denen Menchen stehen, die das Leben des Menschen konstituieren. Dabei trifft Jaspers die Aussage, dass wir Grenzsituationen - wie Leiden, Schuld, Tod - durch das Verhalten nicht ändern, sondern nur zur Klarheit bringen können. Die Konfrontation mit Grenzsituationen, so Jaspers weiter, erfordert im Kern eine Einstellungsveränderung auf Seiten des Menschen, das heißt, eine tief greifende Neubewertung der Situation. In der Terminologie des Wiener Psychiaters und Psychologen Viktor Frankl lässt sich diese Eintellungsveränderung wie folgt umschreiben: Menschen sind in der Lage, ihr "Leiden zu leisten". Damit, so setzt nun Jaspers fort, eine solche Einstellungsveränderung und damit die Verarbeitung einer Grenzsituaiton gelingt, sind Menschen auf eine wahrhaftige Kommunikation angewiesen: In dieser können sie Solidarität, Möglichkeiten der Reflexion und Unterstützung erfahren.
Karl Oskar Blases Buch - die Tagebuchaufzeichnungen wie die Bilder - vermittelt den Eindruck, dass dem Ehepaar Blase diese wahrhaftige Kommunikation gelungen ist: Denn die Aussagen zeugen von großer Offenheit beider. Vielleicht ist es dies, was den Leser berührt - die Wahrhaftigkeit in der Kommunikation und das darin zum Ausdruck kommende Gelingen des Menschseins. Vielleicht ist es auch der Eindruck, dass Marga durch diese Art der Kommunikation geholfen wurde, mit ihrer Erkrankung zu leben, die Grenzsituation der Demenz nach und nach innerlich zu überwinden.
Dem Verfasser des Tagebuchs gilt großer Dank und hoher Respekt. Aber auch all jenen, die sich für die Publikation eingesetzt haben, gebührt Dank; zu nennen ist hier ausdrücklich der Verlag, der mit dieser Publikation ein Wagnis eingeht - ein Wagnis, welches sich auf jeden Fall als lohneswert erweisen wird.
o. Prof. Dr. Andreas Kruse
Direktor des Instituts für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Eine Gewohnheit in unserem gemeinsamen Leben war es, wenn ich aus der Kunsthochschule nach Hause gekommen war und wir unseren Tee getrunken hatten, einen Spaziergang in die nahe gelegene Dönche, ein Naturschutzgebiet in Kassel, zu machen. Wir besprachen dann alles, was tagsüber so angefallen war. Einmal kamen wir auch an einer für uns historischen Bank vorbei. Dort hatten wir einst nach einer durchfeierten Sommernacht einen unvergesslichen Sonnenaufgang erlebt. Genau auf diesem Weg, auf dem wir immer alles besprochen haben, sagte mir Marga, dass wir auch unser Verhältnis endlich mal klären müssten. Wer sind Sie denn eigentlich, sind Sie meine Mutter oder mein Vater und überhaupt, wer sind Sie eigentlich?
Ich versuchte ihr mit all meiner mir zur Verfügung stehenden Überredungskunst klar zu machen, dass ich der Karl Oskar, ihr Mann sei, und das schon seit über 50 Jahren. Sie blieb unbeeindruckt und war nicht daran interessiert, die Sache aufzuklären. Ich fühlte mich total hilflos, außen vor und sehr traurig. Dieser Spaziergang war zu einem Wendepunkt geworden. Auf dem Rückweg, zu unserem nahe gelegenen Haus, wurden wir uns immer fremder. Sie redete mich nur mit Sie an und wollte Auskunft darüber, wo wir jetzt hingingen und ob wir angemeldet seien. Sie begrüßte mich wiederum wie einen guten Freund und fragte, welches Zimmer man ihr zugewiesen hätte und ob sie es bezahlen müsse. Von diesem Tag an war alles anders und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte.
Rezensionen
Karl Oskar Blase hat kein tröstendes Ratgeberbuch geschaffen. Aber er zeigt uns in Worten und Bildern, dass wir nicht allein sind im alltäglichen und vergeblichen Ankämpfen gegen die mit dem Altern und der Demenz einhergehenden Angst, gegen das Vergessen und den Tod. (aus: Alzheimer Info)Bilder, die das Innerste berühren, Worte, die ergreifen und bei allem Erschrecken auch wieder versöhnen. Nie zuvor habe ich eine Ausstellung und Buchpräsentation erlebt, in der so widerstreitende Gefühle geweckt wurden und in der so Persönliches und Intimes über Liebe und Entfremdung, Verbundenheit und Tod gezeigt und gesagt wurde. Ein Wagnis bis zuletzt. (Kulturmagazin K)
"Am Ende zählen nur Würde und Liebe. Der Künstler Karl Oskar Blase schrieb ein Tagebuch über den langen Abschied von seiner an Alzheimer erkrankten Frau von Marianne Kreikenbom"
"Die Diagnose 'Alzheimer' ist für die Angehörigen der Betroffenen ein Schock. Sie verändert das Leben auf beiden Seiten. Eine große Herausforderung für all jene, die mit Demenzkranken zusammenleben, bestehe darin, Zugang zu deren innerer Welt zu finden, heißt es im Vorwort zu Karl Oskar Blases Künstlertagebuch 'Wollten wir nicht Bilder machen?'. Der Titel zitiert eine Frage seiner an Alzheimer erkrankten Frau Marga. Diese Frage bedeutet für den Kasseler Maler und Grafiker nicht nur deren überraschende Erinnerung an einen von ihm gemachten Vorschlag, sondern ermöglicht ihm zumindest zeitweilig den genannten Zugang. 'Ihr Gesicht erschien mir immer, seitdem ich sie kenne, in meinen Bildern', erklärt Blase. Sie war fünfzig Jahre seine Muse und sein Modell, seine Gesprächspartnerin, seine Geliebte und nicht zuletzt die Mutter seiner vier Söhne, von denen der Erstgeborene vierjährig starb. In der Werkkunstschule Wuppertal hatten sie sich kennen gelernt. Sie heirateten 1952 und zogen 1959 nach Kassel. Blase entwarf unter anderem Plakate, Signets und Kataloge für die documenta-Ausstellungen. Erste Anzeichen für die Erkrankung seiner Frau hatte es bereits 1997 gegeben. 'Wer sind Sie denn eigentlich, sind Sie meine Mutter oder mein Vater und überhaupt, wer sind Sie?', fragte sie vier Jahre später auf einem der gemeinsamen täglichen Spaziergänge. 'Von diesem Tag an war alles anders, und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte', erklärt Blase. Ab Anfang 2001 beginnt er Tagebuch zu führen.
Er sucht nach Kommunikationsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkten, probiert 'das gesamte Programm der Erinnerungsarbeit aus'. Ohne jeden Erfolg. Erst der eher beiläufige Vorschlag, wie früher Bilder von ihr zu machen, Fotos und Grafiken, findet unerwartet Margas Interesse. 'Von diesem Tage an hatten wir so etwas wie ein normales Arbeits- und Kommunikationsverhältnis aus früherer Zeit wiedergefunden.' Blase kombiniert die entstehenden Zeichnungen und Fotos seiner Frau mit den Tagebuchtexten und fertigt farbige Collagen, die nun auch das Buch illustrieren. Es sind keine 'Schreckensbilder', auch wenn man dem Blick seiner Frau gelegentlich eine gewisse Welt-Abwesenheit anzusehen glaubt. Die gemeinsame Arbeit hält ihre Krankheit letztlich nicht auf. Die Frage, wer er eigentlich sei, bleibt alltäglich. Doch sie kann einen 'gerissenen Faden' aufnehmen und eine Zeitlang die ihr über Jahrzehnte vertraute Rolle sich erinnernd wieder übernehmen. Man ist als Leser dieses Tagebuchs immer gewiss, dass hier auch an der Grenze menschlicher Belastbarkeit nur die Würde und Liebe zählen. Dass Marga ein tiefes Vertrauen fühlt zu dem Menschen, den sie als ihren eigenen Mann längst nicht mehr erkennt. Marga ist eine schöne, eine attraktive Frau, auch noch im weit fortgeschrittenen Stadium ihrer Krankheit, als sie nach einem Sturz im Rollstuhl sitzt und bettlägerig wird. Sie sehe nicht aus wie eine 71-Jährige, sagen die Mitbewohner des Pflegeheims dem Ehemann immer wieder, und vielleicht ist es ihm ein Trost. Er berichtet im Tagebuch wenig über sich und seine Gefühle. 'Du bist tiefunglücklich, aber gut', meint Marga einmal. Sie stirbt am 22. Juli 2006 und wird in der Kasseler Künstler-Nekropole begraben, unter dem 2001 von Karl Oskar Blase geschaffenen 'momentum' - einem stilisierten Auge aus Beton."
Mehr Infos
Über lange Jahre begleitete der Kasseler Künstler Karl Oskar Blase seine Frau Marga auf einem langen, schwierigen Weg ihrer Alzheimer-Erkrankung. Das Tagebuch, das er in dieser Zeit verfasste und die Portraits, mit denen er sich seiner Frau in ihrer Krankheit immer wieder zu nähern verstand, nehmen den Leser gefangen und eröffnen bei aller Tragik überraschende und vitale Einblicke in ein Krankheitsgeschehen, das nicht nur den Patienten verändert. Dieses Bild-Tagebuch ist eine Liebeserklärung an Marga: direkt und ohne oberflächliche Sentimentalität eine mitreißende, dezente Interpretation der tragischen Realität, flankiert von ausdrucksvollen, zärtlichen Portraits.
Inhalt
VorwortAndreas Kruse 4
Einleitung
Karl Oskar Blase 6
Tagebuch
Karl Oskar Blase 14
Biografie 191
Vorwort
Gedanken, Empfindungen, Gefühle und Handeln demenzkranker Menschen geben dem Außenstehenden vielfach Rätsel auf, da diese Menschen mit zunehmender Krankheitsschwere immer weniger in der Lage sind, iher inneren Welt Ausdruck zu verleihen. Aus diesem Grunde ist eine Phänomenologie des Bewusstseins bei Demenzerkrankung auch so schwierig: Die Äußerungen eines demenzkranken Menschen erscheinen uns - zumindest auf den ersten Blick - als "unverständlich", "nicht zusammenhängend", ja sogar "fremd". Eine große Herausforderung jener Menschen, die mit Demenzkranken zusammenleben, ist darin zu sehen, Zugang zu deren innerer Welt zu finden.Das vorliegende Buch kann hier sehr wichtige, fruchtbare Anregungen geben. Denn in diesem beschreibt der Kasseler Künstler Karl Oskar Blase das Erleben und Verhalten seiner demenzkranken Frau Marga - und er tut dies eben nicht in abstrakter Form, in abstrakter Sprache, sondern vielmehr in Form von sehr konkreten, lebensnahen Tagebuchaufzeichnungen. Er führt Tagebuch darüber, was seine Frau ausagt, wie sie sich verhält - Menschen und Dingen gegenüber - wie sie sich mit Anforderungen im Alltag auseinandersetzt - sozialen und alltagspraktischen Anforderungen. Dabei teilt sich dem Leser in diachronischer Betrachtung eine Persönlichkeit mit, die zwar an einer fortschreitenden Demenz - mithin an einer sehr schweren psychischen Erkrankung - leidet, die jedoch zugleich Kontinuität im Erleben und Verhalten vermittelt: Verbirgt sich hinter dieser Kontinuität die Identität seiner Frau? Und wie lange bleibt diese Identität erhalten?
Die Tagebuchaufzeichnungen vermitteln ein eindrucksvolles Bild der Kontinuität wie auch der Kontinuitätsbrüche im Erleben und Verhalten von Marga Blase. Vor allem aber zeigen sie uns, dass hinter scheinbar "sinnlosem" Verhalten vielfach Stimmigkeiten sichtbar werden, wenn dieses Verhalten zum einen aus der Perspektive der Biografie, zum anderen aus der Perspektive der Umwelt und der Lebenssituation betrachtet wird, in der Marga lebt und handelt. Zudem drängt sich der Eindruck auf, dass manche Äußerung, dass manche Verhaltensweise der Erkrankten einen "fraktionierten" Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen darstellt.
Nun stößt auch Sprache an Grenzen, wenn es um den Versuch einer ganzheitlichen Darstellung eines Menschen geht. Wie offenbart sich dieser Mensch in seinem Handeln, in seinem Gestus, in seiner Mimik? Oder in den Worten der deutsch-amerikanischen Philosophin und Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt ("Vita activa oder vom tätigen Leben"): Wie bewegt sich dieser Mensch "auf der Bühne der Welt", im "öffentlichen Raum"? Wenn wir eine Antwort auf diese Frage geben wollen, dann ist es ratsam, Sprache und Bild miteinander zu verbinden. Und genau hier setzt der Künstler Karl Oskar Blase an. Intuitiv findet er Halt und Hilfe bei dem Medium, das beider Leben geprägt hat und durch das sie zumindest für kurze Sequenzen Nähe, Vertrautheit und Kontinuität zurückgewinnen: Die Malerei. Er portraitiert Marga, wie er es wohl unzählige Male zuvor getan hat. Indem sie ihm Modell sitzt oder kritische Blicke auf das Werk wirft, kann Marga anknüpfen an eine Rolle, die sie Jahrzehnte mit großer Freude und Sachkunde erfüllt hat. Wer leichtfertig glaubte, die Demenz zerstöre die Persönlichkeit und raube den Erkrankten ihre Individualität, wird durch die Portraits eines Besseren belehrt. Marga Blase strahlt eine stille - mitunter fast trotzige Würde aus.
Der Heidelberger Philosoph und Psychiater Karl Jaspers hat sich in seinem Werk "Philosophie" ausführlich mit den Grenzsituationen auseinandergesetzt, in denen Menchen stehen, die das Leben des Menschen konstituieren. Dabei trifft Jaspers die Aussage, dass wir Grenzsituationen - wie Leiden, Schuld, Tod - durch das Verhalten nicht ändern, sondern nur zur Klarheit bringen können. Die Konfrontation mit Grenzsituationen, so Jaspers weiter, erfordert im Kern eine Einstellungsveränderung auf Seiten des Menschen, das heißt, eine tief greifende Neubewertung der Situation. In der Terminologie des Wiener Psychiaters und Psychologen Viktor Frankl lässt sich diese Eintellungsveränderung wie folgt umschreiben: Menschen sind in der Lage, ihr "Leiden zu leisten". Damit, so setzt nun Jaspers fort, eine solche Einstellungsveränderung und damit die Verarbeitung einer Grenzsituaiton gelingt, sind Menschen auf eine wahrhaftige Kommunikation angewiesen: In dieser können sie Solidarität, Möglichkeiten der Reflexion und Unterstützung erfahren.
Karl Oskar Blases Buch - die Tagebuchaufzeichnungen wie die Bilder - vermittelt den Eindruck, dass dem Ehepaar Blase diese wahrhaftige Kommunikation gelungen ist: Denn die Aussagen zeugen von großer Offenheit beider. Vielleicht ist es dies, was den Leser berührt - die Wahrhaftigkeit in der Kommunikation und das darin zum Ausdruck kommende Gelingen des Menschseins. Vielleicht ist es auch der Eindruck, dass Marga durch diese Art der Kommunikation geholfen wurde, mit ihrer Erkrankung zu leben, die Grenzsituation der Demenz nach und nach innerlich zu überwinden.
Dem Verfasser des Tagebuchs gilt großer Dank und hoher Respekt. Aber auch all jenen, die sich für die Publikation eingesetzt haben, gebührt Dank; zu nennen ist hier ausdrücklich der Verlag, der mit dieser Publikation ein Wagnis eingeht - ein Wagnis, welches sich auf jeden Fall als lohneswert erweisen wird.
o. Prof. Dr. Andreas Kruse
Direktor des Instituts für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Leseproben
Aus der Einleitung:Eine Gewohnheit in unserem gemeinsamen Leben war es, wenn ich aus der Kunsthochschule nach Hause gekommen war und wir unseren Tee getrunken hatten, einen Spaziergang in die nahe gelegene Dönche, ein Naturschutzgebiet in Kassel, zu machen. Wir besprachen dann alles, was tagsüber so angefallen war. Einmal kamen wir auch an einer für uns historischen Bank vorbei. Dort hatten wir einst nach einer durchfeierten Sommernacht einen unvergesslichen Sonnenaufgang erlebt. Genau auf diesem Weg, auf dem wir immer alles besprochen haben, sagte mir Marga, dass wir auch unser Verhältnis endlich mal klären müssten. Wer sind Sie denn eigentlich, sind Sie meine Mutter oder mein Vater und überhaupt, wer sind Sie eigentlich?
Ich versuchte ihr mit all meiner mir zur Verfügung stehenden Überredungskunst klar zu machen, dass ich der Karl Oskar, ihr Mann sei, und das schon seit über 50 Jahren. Sie blieb unbeeindruckt und war nicht daran interessiert, die Sache aufzuklären. Ich fühlte mich total hilflos, außen vor und sehr traurig. Dieser Spaziergang war zu einem Wendepunkt geworden. Auf dem Rückweg, zu unserem nahe gelegenen Haus, wurden wir uns immer fremder. Sie redete mich nur mit Sie an und wollte Auskunft darüber, wo wir jetzt hingingen und ob wir angemeldet seien. Sie begrüßte mich wiederum wie einen guten Freund und fragte, welches Zimmer man ihr zugewiesen hätte und ob sie es bezahlen müsse. Von diesem Tag an war alles anders und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte.