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Vanja, Christina und Siefert, Helmut (Hg.)
"In waldig-ländlicher Umgebung ... "
Das Waldkrankenhaus Köppern: Von der agrikolen Kolonie der Stadt Frankfurt zum Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus



Christina Vanja und Helmut Siefert (Hg.)

Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen Quellen und Studien Bd. 7



Umfang: 336 Seiten mit vielen auch farbigen Abbildungen



euregioverlag 2001

ISBN: 978-3-933617-08-8
Preis: 23.90 €
(Preis inkl. Mehrwertsteuer zzgl. Versandkosten)
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Rezensionen
„Eine sehr informative und in jeder Beziehung gelungene Festschrift. Dem mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißabbildungen illustrierten, soliden Band ist daher eine weit über die engen Grenzen von Köppern hinausreichende Rezeption zu wünschen“.

(Bernd Staffelstein in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte Band 52)



"Es handelt sich um einen insgesamt gelungenen Versuch, wissenschaftlich erarbeitete Kenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne dass Standards historischen Arbeitens preisgegeben werden. So ist dem Band - auch angesichts eines akzeptablen Ladenpreises - durchaus weite Verbreitung zu wünschen."

(Rezensiert für H-Soz-u-Kult von: Thomas Müller, Institut für Geschichte der Medizin FU Berlin)
Mehr Infos
Herausgegeben von Christina Vanja und Helmut Siefert

Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes

Hessen, Quellen und Studien Bd. 7
Inhalt
Zum Geleit

Lutz Bauer



Einleitung

Christina Vanja, Helmut Siefert



"Den Kranken dem Leben zurückgeben". Zur Geschichte der Psychiatrie in Frankfurt am Main

Helmut Siefert



Landleben als Therapeutikum – Zur Gründung des Waldkrankenhauses als "agricole Colonie"

Christina Vanja



Geschichte der Köpperner Mühlen

Heinrich Winter



Die Trinkerfürsorgeanstalt Köppern (1901) und die Alkoholikerfrage um 1900

David Alford



Alois Alzheimer und das Alkoholproblem um 1900

Konrad Maurer, Ulrike Maurer



Kriegszitterer in Köppern während des Ersten Weltkrieges

Michael Putzke, Herwig Groß



"Ich glaubte, die Nerven seien nicht ganz richtig" Nervosität und Nervenkrankheiten – die Köpperner Nervenheilanstalt in der Zeit des Ersten Weltkrieg

Karen Nolte -



Von Hirnfunktionen und Nervenkrankheiten – Neurologie um 1900

Heinz-Peter Schmiedebach



Ärzte, die die Anstalt prägten (1901-1933): Emil Sioli, Max Meyer, F. E. Otto Schultze und Friedrich S. Rothschild

Brigitte Leuchtweis-Gerlach



Das Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt am Main. Von den Anfängen bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung

Helmut Nordmeyer



Köppern als Alten- und Siechenheim in der Trägerschaft des Hospitals zum Heiligen Geist zu Frankfurt am Main seit 1934 und die "Aktion Brandt"

Susanne Hahn



Josef Schwarzschild aus Steinbach, das Arbeitserziehungslager Heddernheim, sein Arbeitskommando Köppern und die "Aktion Brandt"

Bernd Vorlaeufer-Germer



Die Auseinandersetzungen seit 1987 um die nationalsozialistische Vergangenheit des Waldkrankenhauses Köppern

Peter Sandner



Im Schatten der Vergangenheit – Das Frankfurter Allgemeinkrankenhaus in Köppern 1945-1967

Christina Vanja



"Köppern birgt neues Leid" - Vom Allgemeinkrankenhaus zur psychiatrischen Klinik

Jochen Hübner



"Man sieht nur mit dem Herzen gut" (Antoine de Saint-Exupéry) - Erinnerungen Dr. med. Werner Zieglers an die ersten Jahre des Psychiatrischen Krankenhauses (1967-1982)

Werner Bierschenk, Christina Vanja



"Es geht zu langsam, Herr..." - Das Waldkrankenhaus Köppern in den Jahren 1982-1997

Eberhard Manfred Biniek



Der "Bamberger Hof" in Frankfurt: Vom Hotel zur Krankenhausaußenstelle

Artur Diethelm



Geschichte der Krankenpflege

Bernd Kuschel



Zu Geschichte der Krankenpflegeschule

Thomas Beßen



"Du bist nicht alleine unterwegs" – Seelsorge in der Psychiatrie

Jörg Moxter, Bernhard Staufenbiel -



Die Laienhilfe am Waldkrankenhaus Köppern

Eva Bablick-Hoffmann



"Patienten betrachten wir als Partner.." – Zur Rolle der Patientenfürsprecher

Joachim Hoffmann



Jüngste Perspektiven und Entwicklungen der Psychiatrie in Köppern

Gerald Schiller



Das Waldkrankenhaus Köppern seit 1967 im Spannungsfeld der Entwicklung im Krankenhauswesen

Werner Bierschenk



Autoren und Autorinnen

Vorwort
Zum Geleit



Ich freue mich, dass es in enger Zusammenarbeit zwischen dem Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus gGmbH und dem Landeswohlfahrtsverband Hessen als langjährigem Trägerverband und heutigem Alleingesellschafter des Zentrums gelungen ist, zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Waldkrankenhauses in Köppern sowie zum 25-jährigen Bestehen des Bamberger Hofes in Frankfurt am Main eine Festschrift mit wissenschaftlichen Studien zu erarbeiten, die nun als Buch erworben werden kann. Damit ist ein zum Nachdenken anregender Schritt getan, der die Geschichte dieser im April 1901 eröffneten psychiatrischen Reformeinrichtung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht.

Der Landeswohlfahrtsverband Hessen hat das Waldkrankenhaus Köppern zwar erst im Jahre 1967 als Träger übernommen und das bisherige Allgemeinkrankenhaus der Stadt Frankfurt in der Trägerschaft der Stiftung "Hospital zum heiligen Geist" in ein Psychiatrisches Krankenhaus umgewandelt. Das Waldkrankenhaus, in dem vor allem Menschen aus dem Ballungszentrum Frankfurt am Main versorgt werden sollten, die bis dahin in weiter entfernten Häusern des Verbandes stationär betreut wurden, stand so am Ende des Aufbaus eines modernen psychiatrischen Versorgungsnetzes in ganz Hessen. Schon wenige Jahre später erfolgte ein grundsätzliches sozialpolitisches Umdenken, das in allen Regionen Hessens zur Schaffung eines differenzierten sowohl vollstationären und teilstationären als auch ambulanten Hilfsangebots für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen konsequent geführt hat. Der Bamberger Hof des Waldkrankenhauses Köppern in Frankfurt am Main, der 1976 in den Räumen eines ehemaligen Hotels eröffnet werden konnte, gehörte damals zu den ersten Außenstellen Psychiatrischer Krankenhäuser, die über diesen Weg eine Öffnung der Psychiatrie einleiteten. Sie erst ermöglichte vielen Frankfurter Bürgern und Bürgerinnen die politisch und auch menschlich gewünschte gemeindenahe Versorgung.

Inzwischen sind Waldkrankenhaus Köppern und Außenstelle Bamberger Hof gleichberechtigte Fachkliniken für Psychiatrie und Psychotherapie und bilden zusammen mit der Gerontopsychiatrischen Tagesstätte Haus Bornberg in Friedrichsdorf das "Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus". Dieses Zentrum ist 1998 in die Gesellschaftsform einer gemeinnützigen Gesellschaft überführt worden. Diese neue Rechtsform ermöglicht den fachlich hoch qualifizierten Einrichtungen ihre Aufgaben in organisatorischer und wirtschaftlicher Selbstständigkeit und Verantwortung zu erfüllen.

Die Historie des Waldkrankenhauses Köppern spiegelt im positiven wie im negativen Sinne die politische und medizinische Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Als offenes Ensemble von Landhäusern in ansprechender Landschaft angelegt, diente diese Einrichtung in den verschiedenen Phasen ihrer Geschichte der Erholung erschöpfter, "nervöser" und psychisch kranker Menschen. Im Jahre 1934 ging die Trägerschaft von der Stadt Frankfurt am Main an die Stiftung "Hospital zum heiligen Geist" über, welche die Köpperner Heilstätten in ein Pflegeheim für alte Menschen umwandelte. Während des Krieges wurde 1943 dieses Pflegeheim mit der Anlage Köppern der "Krankenhaussonderanlagen 'Aktion Brandt'" verbunden, die als Ausweichkrankenhaus für die zerbombten Frankfurter Kliniken diente. Träger blieb die Stiftung "Hospital zum heiligen Geist", die nach 1945 bis 1967 die Köpperner Einrichtung als Allgemeinkrankenhaus weiterbetrieb. In den Jahren 1943 bis 1945 wurde der Alltag in der Köpperner Einrichtung jedoch nicht allein durch die Stiftung, sondern auch wesentlich durch das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt und die Berliner Stabsstelle um Hitlers Leibarzt Dr. Karl Brandt, der bereits die sogenannte "Euthanasie"-Aktion zur Ermordung kranker und behinderter Menschen in Heil- und Pflegeanstalten geleitet hatte, mitbestimmt. Dank neuerer Forschungen, die in diesem Band ausführlich dargestellt sind, wissen wir heute, dass auch diese Köpperner "Krankenhaussonderanlage" zu den hessischen "Euthanasie"-Mordanstalten des Nationalsozialismus zählte. Bei den Opfern handelte es sich vor allem um ältere pflegebedürftige Menschen, die in bisher unbekannter Zahl durch Überdosen an Medikamenten, ungerechtfertigte Operationen, unverantwortliche Transporte sowie Unterernährung und pflegerische Vernachlässigung umkamen. Nicht nur behinderte, sondern auch ältere Menschen wurden, wie Köppern zeigt, zu Opfern des nationalsozialistischen Rassismus, der in menschenverachtender Weise sogenannte "lebensunwerte" Menschen als "nutzlose Esser" zu eliminieren trachtete.

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass sich Krankenhaus und Trägerverband in früheren Jahren schwerer taten, Hinweise auf die nationalsozialistische Vergangenheit in Köppern zu ergründen. Das Jubiläum ist uns allemal Anlass genug, klar auch zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Wir werden alle uns möglichen Anstrengungen unternehmen, um über dieses Jahr hinaus ein würdiges Gedenken an die Opfer zu fördern und die weitere Erforschung der Geschehnisse in hessischen Einrichtungen zur Zeit des Nationalsozialismus zu unterstützen. Das schreckliche Schicksal der hilfsbedürftigen Pflegeheiminsassen in Köppern während des Zweiten Weltkrieges sei uns stete Mahnung, verantwortungsbewusst und mitmenschlich mit den sozial Schwachen in unserer Gesellschaft umzugehen.

Ich danke Frau Dr. Christina Vanja und dem LWV-Archiv ebenso wie Herrn Prof. Dr. Helmut Siefert, Leiter des Senckenbergischen Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Frankfurt am Main, für die wissenschaftliche Betreuung dieser Festschrift. In diesen Dank schließe ich ein Autoren und Autorinnen, die beteiligten Archive, private Leihgebern und zahlreiche weitere Helfer und Helferinnen, die am Zustandekommen dieses Bandes beteiligt waren.





(Lutz Bauer)

Landesdirektor des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen
Leseproben
Einleitung



Christina Vanja, Helmut Siefert



Am 1. April des Jahres 1901 bezogen die ersten Patienten zusammen mit einem Oberpfleger und weiterem Pflege- und Wirtschaftspersonal die sogenannte "Filiale B" der Frankfurter „Anstalt für Irre und Epileptische“. Es handelte sich um die Hüttenmühle im Köpperner Tal im Taunus, welche die Stadt Frankfurt nur wenige Wochen zuvor mit einem größeren Areal Landes käuflich erworben hatte. Die sieben oder neun Kranken, die 1901 die schön in der Landschaft gelegene ehemalige Papiermühle bezogen, waren, so die Terminologie der Zeit, "Alkoholisten", die durch bäuerliche Arbeit an frischer Luft ihre geistige und körperliche Gesundheit wiedererlangen sollten und wollten, denn der Aufenthalt in der "agricolen Colonie" bei Köppern beruhte auf Freiwilligkeit. Nachdem bereits im Jahre 1895 an Epilepsie erkrankte Männer und Frauen aus der überbelegten Frankfurter Hauptanstalt östlich des Grüneburgparks in den Bornheimer "Prächtershof", der "Filiale A", verlegt worden waren, sollte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gründung einer zweiten Zweiganstalt weitere Entlastung und therapeutischen Fortschritt erbringen. Zwar wurde spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Problem des Alkoholismus besonders in den Großstädten breit diskutiert, praktische Hilfe blieb jedoch lange Zeit auf Privatinitiativen beschränkt. In der Regel wurden betrunkene Menschen, welche die Polizei auf der Straße festnahm, in Irrenanstalten eingewiesen, wo sie zwar unter medizinischer Aufsicht ernüchterten, aber keine spezielle Therapie erfuhren. Es ist vor allem dem großen Engagement des Direktors der Frankfurter Irrenanstalt, Dr. Emil Sioli (1852-1922), zu verdanken, dass Frankfurt zu den ersten Kommunen gehörte, die eine öffentliche Heilstätte für mittellose Alkoholkranke gründeten. Die Wahl des landschaftlich besonders schönen Standortes im Köpperner Tal nordwestlich der Großstadt folgte einem naturheilkundlich beeinflussten therapeutischen Konzept, das um 1900 nicht allein die Psychiatrie, sondern auch andere Zweige der Medizin, allen voran die Lungenheilkunde, beeinflusste. Die neue Alkoholikerheilstätte bei Köppern besaß den Charakter eines Sanatoriums, sie bot jedoch mehr als frische Luft und schöne Landschaft; vielmehr galt für rekonvaleszente Alkoholiker landwirtschaftliche Arbeit als wichtigstes Therapeutikum. (Abb. 1)

Sioli plante jedoch mehr als eine kleine Alkoholistenkolonie in einer bald um zwei Barackenbauten (1904-1906) erweiterten alten Mühle; von Anfang an bestand der Plan, an diesem Ort eine größere Heilstätte für "Nervöse" und leicht psychisch Kranke und für Erholungsbedürftige zu errichten. Wie der Alkoholismus wurden auch Nervenleiden Mitte des 19. Jahrhunderts erst allmählich zum Thema ärztlicher Therapie. Insbesondere bei Angehörigen der Unterschichten verkannten öffentliche Fürsorgeträger lange Zeit das reale Leiden Nervenkranker. Während private Sanatorien schon um 1850 Kuren für nervöse Privatpatienten anboten, entstanden erste öffentliche Nervenheilstätten erst nach der Jahrhundertwende. Die Köpperner Anstalt gehörte zu den frühesten durch die öffentliche Hand finanzierten Gründungen für Nervenkranke. Zur Realisation des Gesamtvorhabens der "Neue[n] Heilanstalten Neuefeld und Hüttenmühle für psychisch Kranke und Nervöse der Stadt Frankfurt am Main im Köpperner Tal" trugen die ersten Patienten der Köpperner Filiale in erheblichem Maße bei, indem sie Wege und Zufahrtsstraßen planierten und das zugehörige Landgut mit seinen Feldern und Wiesen in Betrieb nahmen. In den Jahren 1910 bis 1913 schloss die Stadt Frankfurt das Projekt mit dem Bau von sechs Landhäusern (zwei Häuser für Nervenkranke sowie vier Gebäude für psychisch Kranke). 130 Betten standen nun in Köppern zur Verfügung. Im Jahre 1918 wurde die neue Einrichtung unter einem eigenen ärztlichen Leiter gegenüber dem Frankfurter Mutterhaus unabhängig.

Nur ein Jahr nach Eröffnung der neuen Anstalt brach der Erste Weltkrieg aus und der Nervenheilanstalt wurden Aufgaben eines Reservelazaretts zugewiesen, in dem überwiegend psychisch kranke Soldaten versorgt wurden. Während der Zeit der Weimarer Republik diente die auf 200 Betten erweiterte Köpperner Einrichtung u. a. als Sanatorium und bezog die Teichmühle bei Köppern (Erwerb 1918) als Altersheim sowie das sogenannte Institut Garnier als Kinder- und später Erholungsheim für Frauen (1922) mit ein. Trotz baulicher Investitionen in den 1920er und frühen 1930er Jahren (Dienstwohnungen, Heizung, Telefonanlage, Sportplatz und Kegelbahn sowie Sanierung der Trinkwasseranlage) galt die Köpperner Einrichtung in dieser Zeit jedoch als rückständig. Mit dem Neubau der Universitäts-Nervenklinik in Frankfurt-Niederrad im Jahre 1930 sowie dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise geriet die Köpperner Heilstätte mehr und mehr in wirtschaftliche Nöte. Der ärztliche Leiter der Einrichtung, Dr. Max Meyer, sah sich auf Drängen der Stadt Frankfurt veranlasst, in vier Landhäusern nur noch chronisch Kranke und alte Menschen aufzunehmen.

Die Entlassung der jüdischen Ärzte auch in Köppern im Jahre 1933 sowie das rassistisch begründete Bestreben der neuen nationalsozialistischen Machthaber, Kosten bei Heil- und Pflegeanstalten einzusparen, trugen dazu bei, die Tradition der Frankfurter Nervenheilanstalt in Köppern zu beenden und die Einrichtung einer neuen Bestimmung zuzuführen. Im Jahre 1934 übernahm die Frankfurter Stiftung "Hospital zum Heiligen Geist" die Verwaltung der "Frankfurter Pflegeanstalt Köppern" und versorgte hier bei niedrigen Pflegesätzen etwa 250 alte und "sieche" Menschen aus der Großstadt. Die ärztliche Leitung übernahm im Nebenamt der Direktor der Medizinischen Klinik am Heilig-Geist-Hospital.

Schon wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, nämlich am 27. August 1939, erging an die Stiftung Anweisung, Teile der Köpperner Pflegeanstalt innerhalb von 48 Stunden zu Lazarettzwecken freizumachen. Etwa 350 alte und häufig bettlägerige Pfleglinge wurden daraufhin in andere Anstalten verlegt. Etwa die Hälfte dieser Menschen sollte die Transporte nicht überleben.

Das Jahr 1943 brachte einen erneuten fundamentalen Funktionswandel der Köpperner Einrichtung: Die Pflegeanstalt wurde auf staatlichen Befehl zur "Krankenhaussonderanlage 'Aktion Brandt' – Anlage Köppern" um- und ausgebaut. Zwangsarbeiter aus dem "Arbeitserziehungslager Frankfurt am Main – Heddernheim" bauten angelieferte Fertigbauteile aus "Schwemmzement" zu Baracken zusammen, in denen zusammen mit den bereits vorhandenen Landhäusern ein Allgemeinkrankenhaus mit 550 Betten eingerichtet wurde, das Vollkrankenhaus wurde am 6. Oktober 1943 eröffnet und belegt wurde. Die Verwaltung blieb beim Frankfurter "Hospital zum heiligen Geist", die Chefarztposition jedoch übertrug das Frankfurter Gesundheitsamt dem überzeugten Nationalsozialisten Willi Gutermuth.

Den Hintergrund dieser Maßnahme des reichsweiten Krankenhausprogramms bildete das Kriegsgeschehen. Dr. Karl Brandt, Leibarzt Adolf Hitlers und bereits Mitorganisator der "Euthanasie"-Morde an Anstaltsinsassen seit 1939, leitete die Schaffung von Ausweichkrankenhäusern für bombardierte Großstädte. Vor allem chronisch psychisch kranke und alte Menschen gerieten infolge der Umschichtungen zugunsten verletzter Soldaten und für die Kriegsindustrie "wertvoller" erkrankter Arbeitskräfte an die Peripherie aller Versorgungsmaßnahmen. Zwar war es offensichtlich nicht zentrales Ziel der "Aktion Brandt", "Ballastexistenzen", wie die Nationalsozialisten sich zynisch ausdrückten, wie bei der sogenannten "Aktion T4", zu vernichten, doch konnte die Forschung in Einzeluntersuchungen den engen Zusammenhang zwischen einer Beschaffung neuen Raumes zur Krankenversorgung und der Ermordung alter und behinderter Stammbewohner der betroffenen Häuser deutlich machen. Dabei ist der Nachweis eines gezielten Mordprogramms für die "Aktion Brandt" schwieriger als bei der "Aktion T4", deren Organisatoren zwischen 1939 und 1941 Patienten und Patientinnen in sechs zentral gelegenen Mordanstalten zusammenzogen und vergasen ließen. Diese Mordaktion, der rund 70.000 Menschen zum Opfer fielen, endete im August 1941 u. a., weil die Verbrechen mitten in Deutschland nur zu offensichtlich waren. Bis zum Ende des Krieges wurden jedoch schätzungsweise weitere 130.000 Menschen zu "Euthanasie"-Opfern, sie wurden allerdings in einer viel größeren Zahl von Einrichtungen und mit Hilfe von Überdosen an Medikamenten und von systematischem Nahrungsentzug ermordet – Methoden, deren verbrecherische Dimension nicht ohne weiteres nachweisbar ist. Bis heute ist deshalb das gesamte Ausmaß des Krankenmordes unter nationalsozialistischer Herrschaft noch gar nicht bekannt. Neuere Studien machen vor allem deutlich, dass die Voruntersuchungen und Gerichtsprozesse nach 1945, aus denen viele Verantwortliche als "Mitläufer" entlassen wurden, keineswegs die tatsächliche Unschuld der Ärzte, Pfleger, Schwestern und Verwalter verbürgen, da nach den genannten diffizilen Mordprogrammen damals nicht ernsthaft gefragt wurde.

Bereits seit 1987 stehen auch die Leiter der "Krankenhaussonderanlage" in Köppern, insbesondere deren Chefarzt Dr. Gutermuth, im Verdacht, an Patientenmorden mitgewirkt zu haben. Diesen Verdacht haben alle wissenschaftlichen Studien, die seitdem vorgelegt wurden, eher unterstützt als widerlegt. Nach der Soziologin Ute Daub hat inzwischen die Ärztin Brigitte Leuchtweis-Gerlach im Rahmen ihrer Dissertation alles verfügbare Archivmaterial, darunter insbesondere die Prozessunterlagen der Jahre 1945 und 1946, gesichtet und sorgfältig interpretiert. Die Forschungsergebnisse unterstützen die Annahme, in Köppern seien Medikamente missbräuchlich appliziert und Operationen verantwortungslos in offensichtlicher Tötungsabsicht durchgeführt worden. Der Vergleich mit besser dokumentierten Regionen, wie z. B. die Provinz Sachsen, für welche die Ermordung alter Menschen im Rahmen der "Aktion Brandt" bereits nachgewiesen ist, zeigt darüber hinaus, dass Transporte, auf die ältere Köpperner Pfleglinge mehrfach geschickt wurden, ebenso wie die pflegerische Vernachlässigung der "Siechen" bei deutlicher Nahrungsreduktion kaum als Ausdruck der allgemeinen Notsituation zu entschuldigen sind, sondern als Bausteine der menschenverachtenden Sozial- und Gesundheitspolitik im "Dritten Reich" gelten müssen, die Ermordung nicht nur psychisch Kranker, sondern auch alter Menschen zum Ziel hatten. Die Widersprüchlichkeiten der späteren Prozessaussagen, die Vernichtung von Beweismaterial sowie die Unterschlagung von Zeugenaussagen, vor allem jedoch die inzwischen nachgewiesene extrem hohe Sterblichkeit unter den 60- bis 80jährigen Pfleglingen der Köpperner Krankenhaussonderanlage belasten die Verantwortlichen schwer und legen es nahe, zukünftig auch diese hessische Einrichtung zum Kreis der nationalsozialistischen Krankenmordanstalten zu zählen.

Das 1943 unter extremen Bedingungen eingerichtete Allgemeinkrankenhaus überdauerte das Kriegsende. Das Krankenhaus, das sich weiterhin in der Trägerschaft des Frankfurter Heilig-Geist-Hospitals befand, diente mit seinen medizinischen, chirurgischen und gynäkologischen Abteilungen sowie einer Infektionsabteilung der Versorgung der Bevölkerung in den umliegenden Taunusorten bis zum Bau der Nordwestkrankenhauses in Frankfurt zu Beginn der 1960er Jahre. Im Taunus empfand man die Auflösung der bequem zu erreichenden Institution in den Jahren 1966 und 1967 als Verlust. Tatsächlich entsprach das Krankenhaus aber schon lange nicht mehr den medizinischen Standards der Zeit. Vor den entsprechend hohen Investitionen für eine Modernisierung schreckte die Stadt Frankfurt jedoch zurück. Es ergab sich daher als günstige Koinzidenz, dass der Landeswohlfahrtsverband Hessen als Träger psychiatrischer Krankenhäuser dringend Räumlichkeiten im Ballungsraum Frankfurt zur gemeindenahen Unterbringung von Patienten und Patientinnen suchte. Zunächst übertrug die Stadt Frankfurt die Einrichtung dem neuen Träger leihweise auf zehn Jahre, ab 1973 ging sie ganz in das Eigentum des LWV Hessen über. Nachdem die Abteilungen umgebaut und instand gesetzt worden waren, nahm das Waldkrankenhaus – der neue Name wurde in den Nachkriegsjahren kreiert – den Betrieb als psychiatrisches Krankenhaus mit 325 Betten im Herbst 1967 unter der Leitung von Dr. Werner Ziegler auf. Sein Nachfolger Prof. Dr. Eberhard Biniek setzte ab 1982 mit der Behandlung von Suchtkranken einen zusätzlichen Schwerpunkt.

Das Waldkrankenhaus Köppern knüpfte damit wieder an seine ursprüngliche Bestimmung als psychiatrische Einrichtung an und besteht inzwischen bereits über drei Jahrzehnte, eine Zeit, die durch grundlegende psychiatrische Reformen und wichtige institutionelle Veränderungen gekennzeichnet ist. Herauszuheben sind ein allgemeiner Bettenabbau bei Verbesserung des ambulanten und teilstationären Versorgungsangebotes, die Differenzierung und Erweiterung des therapeutischen Angebotes sowie die Bildung einer Außenstelle (Bamberger Hof 1976) und einer Wohngruppe. In die jüngste Zeit weist vor allem die Lösung des Krankenhauses aus der Trägerschaft des LWV Hessen und der Zusammenschluss der Fachkliniken für Psychiatrie und Psychotherapie in Friedrichsdorf (Waldkrankenhaus Köppern, Haus Birnberg) und Frankfurt am Main (Bamberger Hof) zum "Zentrum für Soziale Psychiatrie Hochtaunus" als gemeinnütziger GmbH (1998) den Weg in eine eigenverantwortliche Zukunft.

Der vorliegende Band hat die Vielfalt der hundertjährigen Geschichte des Waldkrankenhauses in Köppern zum Thema, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Uns kam es darauf an, über die Chronologie der Köpperner Krankenhausgeschichte hinaus, einige der größeren Zusammenhänge zu beleuchten, die das Geschehen in dieser "waldig-ländlichen" Einrichtung verständlich machen. Deshalb finden sich in diesem Buch Beiträge zur Frankfurter Psychiatriegeschichte vor 1901 ebenso wie zu den kulturgeschichtlichen Traditionen des Landlebens als Therapeutikum, der Wissenschaftsgeschichte der Neurologie und der praktischen Nervenheilkunde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch diejenigen Artikel, die sich unmittelbar auf Köppern beziehen, stellen jeweils Bezüge zu anderen Einrichtungen und Regionen sowie zur allgemeinen Medizingeschichte her und bieten auf diese Weise die Möglichkeit, Lokalgeschichte in breiteren Zusammenhängen zu interpretieren. Wir haben mit der Vergabe von vier Beiträgen zum Thema des Nationalsozialismus bewusst einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Köpperner Einrichtung in den Jahren 1933 bis 1945 gelegt. Wir sind diese Gewichtung den Opfern des Nationalsozialismus schuldig. Wir hoffen aber auch, dass die Lektüre nachdenklich stimmt und zu weiteren Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit anregt.

Schließlich führt der letzte Teil des Bandes in die Jetztzeit hinein. Hier zeigen die Beiträge besonders anschaulich den Alltag des Krankenhauses inmitten der Schnelllebigkeit unserer an medizintechnischem Fortschritt und ökonomischer Effizienz orientierten Zeit sowie das große Engagement, das nicht nur die Beschäftigten, sondern auch Angehörige und Freunde psychisch kranker oder behinderter Menschen aufbringen, um die Zukunft einer menschlichen Psychiatrie zu gestalten.



Für ihre Unterstützung möchten wir an dieser Stelle ganz besonders danken: Frau Dr. Brigitte Leuchtweis-Gerlach, Frau Waltraud Schäfer, Frau Dr. Ortrud Wörner-Heil, Herrn Walter Eimicke, Herrn Bernd Ochs, Herrn Peter Sandner M.A. und Herrn Roland Eberhardt sowie dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Herrn Dr. Schneider, Frau Kämpfer), dem Stadtarchiv Friedrichsdorf (Frau Dr. Koppenhöfer) und dem Kreisarchiv in Bad Homburg v. d. H. (Frau Dr. Baeumerth).
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