Spaziergangsführer
Beuys to go
Unterwegs zu 7000 Eichen
ISBN 9783933617835
Herausgegeben von der cdw Stiftung gGmbH
Texte: Karin Thielecke, Lutz Kirchner und Lars Hofmann
146 Seiten, vierfarbig, wire-o Bindung
mit zahlr. Fotografien und Abbildungen
Kassel ist die Stadt der "7000 Eichen"! Joseph Beuys schuf hier vor fast 40 Jahren ein weltweit einmaliges organisches Kunstwerk, das sich über die ganze Stadt ausdehnt.
In vielen Kasseler Buchhandlungen, bei Kassel Marketing und in der Stadtbibliothek Kassel sowie über den euregioverlag kostenlos erhältlich.
Zur documenta 7 (1982) begann der Künstler mit seinem Team 7 000 Bäume zu pflanzen. Die Botschaft der" 7000 Eichen" ist in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je. Inzwischen sind in Kassel grüne Alleen und Verwaldungsinseln gewachsen. Die Bäume begegnen den Bürger*innen auf alltäglichen Wegen und auch an unwirtlichen Orten der Stadt.
Dieser Spaziergangsführer läd dazu ein, das Kunstwerk auf sieben thematischen Stadtspaziergängen zu erkunden und für sich zu entdecken. Die Routen sind zwischen drei und sieben Kilometer lang. "Beuys to go" ist der ideale Spaziergangsbegleiter durch die Stadtteile jenseits der bekannten Wege. Darin ist zu erfahren, wie alles anfing, welche Hürden zu überwinden waren und was aus den Bäumen geworden ist. Die Jubiläen "100 Jahre Beuys" (2021) und "40 Jahre
7000 Eichen" (2022) sind dafür ein schöner Anlass.
Herausgegeben wird der Spaziergangsführer von der cdw Stiftung gGmbH. Er wird ab dem 1. August in vielen Buchhandlungen und Museen in Kassel und auch hier über diese Webseite kostenlos vertrieben.
Zurück
cdw Stiftung gGmbH
Beuys to go Unterwegs zu 7 000 Eichen Ein Spaziergangsführer
Preis: 0.00 €
(Preis inkl. Mehrwertsteuer zzgl. Versandkosten)
In den Warenkorb
(Preis inkl. Mehrwertsteuer zzgl. Versandkosten)
Fenster schließen
Unterwegs zu 7 000 Eichen
Ein Spaziergangsführer
cdw Stiftung erinnert an Joseph Beuys großartigen documenta-Beitrag
Wie 7000 Bäume und Steine eine ganze Stadt nachhaltig bewegt und verändert haben
[euregioverlag, Kassel]: Es ist ein großartiges, ein weitsichtiges Geschenk, das Joseph Beuys Kassel hinterlassen hat: Kein documenta-Kunstwerk hat die Stadt so nachhaltig verändert, ihre Bürger so sehr bewegt und das Stadtbild geprägt wie die „7000 Eichen“ von Joseph Beuys, einem der wohl wichtigsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. Eine Raum-Zeit-Skulptur, die beständig wächst, dabei sich und ihr Umfeld verändert. Ökologische, soziale und künstlerische Aspekte sind darin auf visionäre Weise verbunden - und bis heute aktuell. Mehr noch: Beuys Botschaft „7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ und der immanente Wunsch des Künstlers, einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, erscheinen in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je.
Vor fast 40 Jahren, 1982 zur documenta 7, begann Joseph Beuys in Kassel 7000 Bäume zu pflanzen. Heute verdankt die Stadt dem Künstler ein weltweit einmaliges organisches Kunstwerk, das mit seiner enormen Ausdehnung das gesamte Stadtgebiet durchzieht. Beuys Bäume begegnen den Bürgerinnen und Bürgern auf alltäglichen Wegen, zuweilen auch an eher unwirtlichen Orten.
Konflikte, Proteste und Sympathien begleiteten Kunstwerk
Beuys wollte raus aus dem Museum. Das ist ihm gelungen! Mit nicht mehr und nicht weniger als 7000 Bäumen samt dazu gesellten Basaltstelen verwirklichte der Künstler seine Idee der „Sozialen Plastik“, einer gesellschaftsverändernden demokratisierten Kunst.
Diskussionen, Konflikte, Proteste und Sympathien begleiteten das Werk von Anfang an. Nicht selten wurden dabei die an jedem Pflanzort aufgestellten Stelen zum Stein des Anstoßes.
Grüne Alleen und Verwaldungsinseln
Heute prägen Beuys Bäume das Stadtbild nachhaltig. Sie sind sicht- und spürbar. Grüne Alleen und Verwaldungsinseln sind gewachsen. Ehemals triste historische Industriearbeiterviertel haben dank ihnen ihr Antlitz verändert. Sogar lautstarke Umgehungsstraßen wirken nach Beuys „Verwaldung“ zugänglicher.
All dies – Vergangenheit und Gegenwart des Kunstwerkes „7000 Eichen“ - können die Menschen in Kassel, können Touristen und Ausflügler jetzt nacherleben oder ganz neu für sich entdecken. Die cdw Stiftung Kassel hat dazu einen Spaziergangsführer der besonderen Art konzipiert und herausgegeben:
„Beuys to go“! Mit fundierten und lesenswerten Texten, Fotos und Kartenausschnitten lädt der Wegbegleiter ein, auf den Spuren von 7000 Bäumen ein wohl einzigartiges Kunstwerk und zugleich eine ganze Stadt zu erkunden. Die sieben thematischen Routen führen durch 15 Stadtteile Kassels und sind zwischen drei und sieben Kilometer lang.
Spaziergangsführer erinnert und weist in Zukunft
Das Buch birgt eine Fülle von Informationen rund um das Kunstwerk und darüber hinaus: wie alles anfing, welche Hürden zu überwinden waren und wie 7000 Bäume bis heute im urbanen Umfeld ihre Wirkung entfalten. Anregungen zu Architektur und Geschichte(n) leuchten auf: Was liegt so alles am Wegesrand? Auf vielen Routen lernt man die Stadt genauer, manchmal auch von einer ganz anderen Seite kennen. Fragen stellen sich: Wie leben die Menschen heute mit Beuys Kunstwerk?
Entstanden ist ein aufschlussreicher und unterhaltsamer Spaziergangsführer, der in die Zukunft weist: Er erinnert nicht nur an die Strahlkraft von Beuys einstigem documenta-Beitrag. „Beuys to go“ macht zugleich die Attraktivität, und die kulturellen Besonderheiten Kassels sichtbar.
Beuys „100“
Im nächsten Jahr wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Sein zukunftsweisendes Kunstwerk „7000 Eichen“ wird 2022 40 Jahre alt. Mit „Beuys to go“ präsentiert die cdw Stiftung ihren Beitrag zu den Jubiläen. Er bringt das dynamische Kunstwerk ganz im Sinne Joseph Beuys den Menschen (wieder) näher und regt neu zur Auseinandersetzung an. Nicht zuletzt wird dies die langfristige Wertschätzung und den Schutz der „7000 Eichen“ in Kassel sichern.
Der Spaziergangsführer wird ab dem 1. August 2020 in vielen Buchhandlungen, über Kassel Marketing und die Stadtbibliothek in Kassel und über den euregioverlag kostenlos vertrieben. (kw)
Übersichtskarte ..............................................................2
Beuys to go – Unterwegs zu 7000 EichenVorwort ..........................................................................6
Das Kunstwerk
7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung ....8
Eine geniale Provokation ................................................9
Geschenk und Verpflichtung .........................................10
Die Komponenten .........................................................11
Soziale Plastik ..............................................................11
Hintergrund: Beuys’ Urprinzip .......................................11
Der Baum .....................................................................12
Der Stein ......................................................................12
Das Paar ......................................................................12
Finanzierung und Realisierung ......................................13
Einschmelzung der Zarenkrone .....................................13
Künstlersolidarität ........................................................13
Stadtverwaltung und Koordinationsbüro 7000 Eichen ...14
Ausblick .......................................................................14
Bildstrecke
7000 Eichen .................................................................16
Spaziergang 1
Neuanfang auf Trümmern: Das Kunstwerk und die documenta .................42
Spaziergang 2
Widerspruch und Bildung: Ein Vernunftbaum in der Nordstadt .................58
Spaziergang 3
Ökonomie und Dorfidylle: Kapital als schöpferisches Potenzial ..............72
Spaziergang 4
Ökologie statt Ödnis: Stadtteilverwaldung als Gegenentwurf ............86
Spaziergang 5
Konflikte und Konzepte: Wie viel Baum verträgt die Stadt? ...............100
Spaziergang 6
Wandel aus Wärme: Wege durch urbane Landschaften ...............114
Spaziergang 7
Ablehnung und Akzeptanz: Das Kunstwerk zwischen Vermittlung und Kritik ..............................................128
Herzlich willkommen in der Stadt der „7000 Eichen“! Kassel verdankt dem Künstler Joseph Beuys ein weltweit einmaliges organisches Kunstwerk, das sich über die ganze Stadt ausdehnt. Zur documenta 7 (1982) begann der Künst¬ler mit seinem Team 7 000 Bäume zu pflanzen. Damit hat Beuys nicht nur das Stadtbild und das Leben in den Stadttei¬len nachhaltig verändert, sondern auch einen gesellschaftli¬chen Wandel angestoßen. Die Botschaft der „7000 Eichen“ ist in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je.
Seit vier Jahrzehnten leben die Stadtbewohner*innen nun mit dem Kunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Proteste, Sympathien und Diskussionen begleiten das Werk seitdem. Inzwischen sind in Kassel grüne Alleen und Verwaldungsinseln gewachsen. Die Bäume be¬gegnen einem auf alltäglichen Wegen und manchmal auch an unwirtlichen Orten der Stadt.
Wir laden Sie mit diesem Spaziergangsführer dazu ein, das Kunstwerk auf sieben thematischen Stadtspaziergängen zu erkunden und für sich zu entdecken. Die Routen sind zwi¬schen drei und sieben Kilometer lang. „Beuys to go“ ist Ihr Spaziergangsbegleiter durch die Stadtteile jenseits der be¬kannten Wege. Sie erfahren, wie alles anfing, welche Hürden zu überwinden waren und was aus den Bäumen geworden ist. Die Jubiläen „100 Jahre Beuys“ (2021) und „40 Jahre 7000 Eichen“ (2022) sind dafür ein schöner Anlass. Nehmen Sie sich Zeit und machen Sie sich auf den Weg!
Wir wünschen Ihnen erlebnisreiche Stadtspaziergänge.
Irene Cramer, Peter Drews, Reiner Wettlaufer
Vorstand der cdw Stiftung
Joseph Beuys (1921–1986) überraschte zur documenta_7 im Jahr 1982 mit einer einfachen Idee. Er wollte 7 000 Eichen mit je einem Stein im Stadtgebiet pflanzen und so im direkten Lebensumfeld der Menschen für mehr urbane Lebensqualität sorgen. Die Baumpflanzung sollte ein Zeichen setzen für ein sozial-ökologisches Umdenken. Daraus wurde das bisher aufwändigste und folgenreichste Projekt in der documenta-Geschichte.
Für Beuys war es die konsequente Fortführung seiner künstlerischen Arbeit. Kunst und politisches Engagement des Künstlers verbanden sich immer mehr. Als ihn Rudi Fuchs, der künstlerische Leiter der documenta 7, einlud, war es für Beuys die fünfte documenta-Teilnahme. Schon zur documenta_5 hatte der Aktionskünstler ein „Büro für direkte Demo¬kratie“ eingerichtet. Doch diesmal wollte er raus aus dem Museum.
Kein anderes Kunstwerk hat Kassel so nachhaltig verändert wie die „7000 Eichen“. Ökologische, soziale, politische und künstlerische Aspekte sind darin auf visionäre Weise verbunden und bis heute aktuell. Das dynamische Wachstum des Kunstwerks und seine enorme Ausdehnung über das gesamte Stadtgebiet sind weltweit einmalig.
Eine geniale Provokation
Der Künstler ließ zunächst 7 000 Basaltstelen keilförmig auf dem Friedrichsplatz abladen. Für jeden abgetragenen Stein musste ein Baum gepflanzt werden. Das dauerte insgesamt fünf Jahre. Die erste Eiche setzte Joseph Beuys am 16. März 1982 auf dem Friedrichsplatz ein. Nach dem ersten Jahr lagerten immer noch 6 000 Steine auf dem innerstädtischen Platz. Sie sollten für viele Menschen Steine des Anstoßes bleiben und hitzige Debatten auslösen. Der damalige Oberbürgermeister Hans Eichel nannte den Steinhaufen rückblickend eine „geniale Provokation“. Die Vollendung der Pflanzaktion zur documenta 8 im Jahr 1987 erlebte Beuys nicht mehr. Er starb ein Jahr zuvor. Mit „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ verwirklichte der Künstler seine Idee der Sozialen Plastik.
Wie viel Baum verträgt die Stadt?
Die Realisierung der „7000 Eichen“ war eine Herkulesaufgabe. Der Baumbestand im zentralen Stadtgebiet war nach dem Zweiten Weltkrieg stark reduziert und umfasste 1982 etwa 8 000 Bäume. Nun sollten 7000 dazu kommen. Beuys musste 4,3 Millionen D-Mark zur Finanzierung der Aktion aufbringen. Viele Hindernisse und Einwände waren zu überwinden. Die autofreundlich gestaltete Stadt war auf die Bäume nicht vorbereitet. Bis zu elf städtische Ämter waren in die Planungsprozesse zu den Baumpflanzaktionen des Koordinierungsbüros 7000 Eichen, das von Joseph Beuys eingerichtet worden war, involviert. Vor allem der unterirdischen Infrastruktur aus Rohren und Kabeln galt die Sorge. Das Kunstwerk forderte Lösungen – und die wurden gefunden. Kas¬sel wurde zum Vorbild für andere Städte, die sich hier informierten.
Weil sich die Stadt ständig weiterentwickelt, sind Planungskonflikte mit einem Kunstwerk von der Dimension der „7000 Eichen“ vorbestimmt. Für Joseph Beuys lag der tiefere Sinn seiner Sozialen Plastik gerade darin, die unterschiedlichen Interessen sichtbar zu machen und dennoch zu einer gemeinsam getragenen Gestaltung zu kommen.
Geschenk und Verpflichtung
Die Pflanzaktion wurde von großem Engagement begleitet. Bürger*innen, Vereine, Schulen und Stadtteile packten mit an. Viele Bewohner*innen machten Standortvorschläge. Fast 40 Jahre später sind stattliche Bäume daraus entstanden. 1987 ging das Kunstwerk als Schenkung an die Stadt Kassel über. Seit 2005 stehen die „7000 Eichen“ als Kultur- und Gartendenkmal unter Denkmalschutz. Die Stadt Kassel und die Stiftung 7000 Eichen kümmern sich um die Pflege und den Erhalt dieses organisch wachsenden Kunstwerks.
Die Komponenten des Kunstwerks
Das Kunstwerk „7000 Eichen“ besteht, anders als der Name vermuten lässt, nicht nur aus Eichen. Mehr als 20 verschiedene Baumarten wurden mit Einwilligung des Künstlers gepflanzt – abhängig von den Standortbedingungen und gestalterischen Aspekten. Heute stellt der Klimawandel die größte Herausforderung dar, denn viele Baumarten werden langfristig der Trockenheit und Hitze nicht standhalten.
Soziale Plastik
Beuys entwickelte auf Grundlage eines erweiterten Kunst¬begriffs seine Idee der Sozialen Plastik. Ihn interessierte, wie Kunst gestaltend und verändernd auf die Gesellschaft einwirken kann. Und mehr noch: Könnte nicht jedes Handeln, das die Gesellschaft formt und gestaltet, als kreativ bezeichnet werden? „Jeder Mensch ist ein Künstler“, sagte Beuys. Das Kunstwerk „7000 Eichen“ gilt bis heute als Inbegriff der Sozialen Plastik. All die Diskussionen zwischen Bürger*innen, Wirtschaftsakteuren, Verwaltung und Künstler sind Teil des Kunstwerks. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ ist ein Prozess, der andauert, solange die Bäume wachsen. Deshalb spricht man auch von einer Raum-Zeit-Skulptur.
Hintergrund: Beuys‘ Urprinzip
Im Zentrum von Joseph Beuys‘ plastischer Theorie stehen Gegensatzpaare. Sie sind ein wiederkehrendes Gestaltungsprin¬zip. Es gibt kristalline Formen, dazu zählen starre, geometrische Bestandteile. Und es gibt weiche, organische Formen. In diesem Sinne verbindet der Künstler konträre Paare, wie zum Beispiel: Rationalität und Intuition, Stillstand und Bewegung, Kälte und Wärme, Konzentration und Ausdehnung, Wunde und Heilung. Oder wie bei den „7000 Eichen“: Stein und Baum. Der erste Begriff eines jeden Paares steht für Struktur und Stabilität, der zweite für Veränderung und Entwicklung und somit für Prozesse, die Beuys mit seiner Kunst anstoßen wollte. In seiner Kunst war Heilung ein zentrales Anliegen. Dabei hatte er stets den gesamten Gesellschaftsorganismus im Blick.
Der Baum
Der Baum ist in vielen Kulturen ein Symbol für das Leben. Beuys wählte die Eiche aus, weil sie ein sehr langsam wachsender Baum mit einer Lebensdauer von über 800 Jahren ist. Die Zeitdimension des Kunstwerks weist über viele Menschen¬generationen hinaus und steht für einen tiefgreifenden Wandel. Dazu kommt, dass die Eiche ein kulturgeschichtlich bedeutender Baum ist. Mit ihr sind zahlreiche mythologische, religiöse und historische Assoziationen verbunden. Die Eiche wurde als heiliger Baum verehrt, aber auch politisch und ideologisch instrumentalisiert.
Der Stein
Die Basaltstelen haben einen vulkanischen Ursprung: Sie entstanden aus der Kristallisation von flüssiger Lava und haben häufig eine markante sechseckige Grundform. Die 7000 Basaltstelen stammen unter anderem aus Steinbrüchen im nordhessischen Umland. Als feste mineralische Masse wird der Stein zum Wächter des jungen Baums und versorgt den Baum über die Jahrhunderte mit Spurenelementen. Steine gelten als urzeitliche Monumente. In vielen Kulturen waren sie als Altar- und Opfersteine Teil religiöser Rituale.
Das Paar
Beuys war es wichtig, dass Baum und Stein immer zusammen in das Pflanzloch gesetzt werden und eine Art Lebensgemeinschaft bilden. Der kristalline Stein steht für den Tod und weist in die Vergangenheit. Der Baum verbildlicht das Leben und weist in die Zukunft. Die Baum-Stein-Beziehung steht für den Wandel. Das Größenverhältnis der Komponenten kehrt sich mit der Zeit um. Vielfach haben die Bäume inzwischen einen größeren Durchmesser als die Steine.
Finanzierung und Realisierung
Aus dem Etat der documenta war so ein Großprojekt wie die „7000 Eichen“ nicht finanzierbar. Das Werk war mit 4,3 Millionen D-Mark eine der teuersten Kunstaktionen seiner Zeit. Die New Yorker Dia Art Foundation leistete eine Anschubfinanzierung.
Zur weiteren Finanzierung sollten Spenden von Privatleuten, Firmen und Institutionen beitragen. Ein Baum kostete 500 D-Mark – inklusive Basaltstele, Transport und Pflanzung. Obwohl Beuys international äußerst populär war, kam zunächst nicht genug Geld für das Projekt zusammen, sodass er einen Großteil selbst beschaffen musste: Er verkaufte Editionen, trat in einem Werbespot auf und lieferte eine spektakuläre Kunstaktion noch während der documenta_7.
Einschmelzung der Zarenkrone
Am 30. Juni 1982 zerlegte Beuys in einer Aktion vor Publikum eine wertvolle Replik der Krone des Zaren Iwans des Schreckli¬chen und schmolz sie ein. Die Replik hatte ein Düsseldorfer Gastronom gestiftet. Daraus goss Beuys einen „Friedenshasen“, der für 777.000 D-Mark (397.000 Euro) an einen Sammler verkauft wurde.
Künstlersolidarität
Etwa eine Million D-Mark brachte eine so¬lidarische Kunstauktion im April 1985 ein, die von der Kunsthalle Tübingen zugunsten der „7000 Eichen“ initiiert worden war. 34 Künstler hatten dafür Kunstwerke beigesteuert. Zu ihnen zählten unter anderem Jannis Kounellis, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Walter Dahn und Tony Cragg.
Stadtverwaltung und Koordinationsbüro 7000 Eichen
Auch die Kasseler Stadtverwaltung trug zur Stadtverwaldung bei, indem sie zu Beginn Fahrzeuge und Infrastruktur zur Verfügung stellte und später die Pflege der Bäume übernahm. 1999 bekannte sich das Stadtparlament einstimmig zu den „7 Thesen zum Kunstwerk 7000 Eichen“, einer Art Manifest mit Beschlusskraft. Der Erhalt des Kunstwerks ist Aufgabe und Absicht der Stadtverwaltung.
Die wesentliche Arbeit zwischen 1982 und 1987 leistete das von Beuys eingerichtet FIU-Koordinationsbüro 7000 Eichen, das das gesamte Unternehmen steuerte. Es nahm Wünsche der Bürger*innen entgegen, entwickelte eigene Standortvorschläge und Pflanzkonzepte und verhandelte mit der Stadt und dem Gartenamt.
Ausblick
Die „7000 Eichen“ greifen als gewachsener und weiter wachsender Organismus in die visuelle, ökologische und soziale Struktur des urbanen Lebensraumes ein. Sie sind ein großes Geschenk für Kassel und eine ständige Verpflichtung. Ihr visionäres und utopisches Potenzial wird in Zeiten des Klimawandels deutlicher denn je. Sie inspirieren dazu, das zu tun, was notwendig ist.
Rezensionen
Mehr Infos
Beuys to goUnterwegs zu 7 000 Eichen
Ein Spaziergangsführer
cdw Stiftung erinnert an Joseph Beuys großartigen documenta-Beitrag
Wie 7000 Bäume und Steine eine ganze Stadt nachhaltig bewegt und verändert haben
[euregioverlag, Kassel]: Es ist ein großartiges, ein weitsichtiges Geschenk, das Joseph Beuys Kassel hinterlassen hat: Kein documenta-Kunstwerk hat die Stadt so nachhaltig verändert, ihre Bürger so sehr bewegt und das Stadtbild geprägt wie die „7000 Eichen“ von Joseph Beuys, einem der wohl wichtigsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. Eine Raum-Zeit-Skulptur, die beständig wächst, dabei sich und ihr Umfeld verändert. Ökologische, soziale und künstlerische Aspekte sind darin auf visionäre Weise verbunden - und bis heute aktuell. Mehr noch: Beuys Botschaft „7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ und der immanente Wunsch des Künstlers, einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, erscheinen in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je.
Vor fast 40 Jahren, 1982 zur documenta 7, begann Joseph Beuys in Kassel 7000 Bäume zu pflanzen. Heute verdankt die Stadt dem Künstler ein weltweit einmaliges organisches Kunstwerk, das mit seiner enormen Ausdehnung das gesamte Stadtgebiet durchzieht. Beuys Bäume begegnen den Bürgerinnen und Bürgern auf alltäglichen Wegen, zuweilen auch an eher unwirtlichen Orten.
Konflikte, Proteste und Sympathien begleiteten Kunstwerk
Beuys wollte raus aus dem Museum. Das ist ihm gelungen! Mit nicht mehr und nicht weniger als 7000 Bäumen samt dazu gesellten Basaltstelen verwirklichte der Künstler seine Idee der „Sozialen Plastik“, einer gesellschaftsverändernden demokratisierten Kunst.
Diskussionen, Konflikte, Proteste und Sympathien begleiteten das Werk von Anfang an. Nicht selten wurden dabei die an jedem Pflanzort aufgestellten Stelen zum Stein des Anstoßes.
Grüne Alleen und Verwaldungsinseln
Heute prägen Beuys Bäume das Stadtbild nachhaltig. Sie sind sicht- und spürbar. Grüne Alleen und Verwaldungsinseln sind gewachsen. Ehemals triste historische Industriearbeiterviertel haben dank ihnen ihr Antlitz verändert. Sogar lautstarke Umgehungsstraßen wirken nach Beuys „Verwaldung“ zugänglicher.
All dies – Vergangenheit und Gegenwart des Kunstwerkes „7000 Eichen“ - können die Menschen in Kassel, können Touristen und Ausflügler jetzt nacherleben oder ganz neu für sich entdecken. Die cdw Stiftung Kassel hat dazu einen Spaziergangsführer der besonderen Art konzipiert und herausgegeben:
„Beuys to go“! Mit fundierten und lesenswerten Texten, Fotos und Kartenausschnitten lädt der Wegbegleiter ein, auf den Spuren von 7000 Bäumen ein wohl einzigartiges Kunstwerk und zugleich eine ganze Stadt zu erkunden. Die sieben thematischen Routen führen durch 15 Stadtteile Kassels und sind zwischen drei und sieben Kilometer lang.
Spaziergangsführer erinnert und weist in Zukunft
Das Buch birgt eine Fülle von Informationen rund um das Kunstwerk und darüber hinaus: wie alles anfing, welche Hürden zu überwinden waren und wie 7000 Bäume bis heute im urbanen Umfeld ihre Wirkung entfalten. Anregungen zu Architektur und Geschichte(n) leuchten auf: Was liegt so alles am Wegesrand? Auf vielen Routen lernt man die Stadt genauer, manchmal auch von einer ganz anderen Seite kennen. Fragen stellen sich: Wie leben die Menschen heute mit Beuys Kunstwerk?
Entstanden ist ein aufschlussreicher und unterhaltsamer Spaziergangsführer, der in die Zukunft weist: Er erinnert nicht nur an die Strahlkraft von Beuys einstigem documenta-Beitrag. „Beuys to go“ macht zugleich die Attraktivität, und die kulturellen Besonderheiten Kassels sichtbar.
Beuys „100“
Im nächsten Jahr wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Sein zukunftsweisendes Kunstwerk „7000 Eichen“ wird 2022 40 Jahre alt. Mit „Beuys to go“ präsentiert die cdw Stiftung ihren Beitrag zu den Jubiläen. Er bringt das dynamische Kunstwerk ganz im Sinne Joseph Beuys den Menschen (wieder) näher und regt neu zur Auseinandersetzung an. Nicht zuletzt wird dies die langfristige Wertschätzung und den Schutz der „7000 Eichen“ in Kassel sichern.
Der Spaziergangsführer wird ab dem 1. August 2020 in vielen Buchhandlungen, über Kassel Marketing und die Stadtbibliothek in Kassel und über den euregioverlag kostenlos vertrieben. (kw)
Inhalt
7000 Eichen in KasselÜbersichtskarte ..............................................................2
Beuys to go – Unterwegs zu 7000 EichenVorwort ..........................................................................6
Das Kunstwerk
7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung ....8
Eine geniale Provokation ................................................9
Geschenk und Verpflichtung .........................................10
Die Komponenten .........................................................11
Soziale Plastik ..............................................................11
Hintergrund: Beuys’ Urprinzip .......................................11
Der Baum .....................................................................12
Der Stein ......................................................................12
Das Paar ......................................................................12
Finanzierung und Realisierung ......................................13
Einschmelzung der Zarenkrone .....................................13
Künstlersolidarität ........................................................13
Stadtverwaltung und Koordinationsbüro 7000 Eichen ...14
Ausblick .......................................................................14
Bildstrecke
7000 Eichen .................................................................16
Spaziergang 1
Neuanfang auf Trümmern: Das Kunstwerk und die documenta .................42
Spaziergang 2
Widerspruch und Bildung: Ein Vernunftbaum in der Nordstadt .................58
Spaziergang 3
Ökonomie und Dorfidylle: Kapital als schöpferisches Potenzial ..............72
Spaziergang 4
Ökologie statt Ödnis: Stadtteilverwaldung als Gegenentwurf ............86
Spaziergang 5
Konflikte und Konzepte: Wie viel Baum verträgt die Stadt? ...............100
Spaziergang 6
Wandel aus Wärme: Wege durch urbane Landschaften ...............114
Spaziergang 7
Ablehnung und Akzeptanz: Das Kunstwerk zwischen Vermittlung und Kritik ..............................................128
Vorwort
Unterwegs zu 7000 EichenHerzlich willkommen in der Stadt der „7000 Eichen“! Kassel verdankt dem Künstler Joseph Beuys ein weltweit einmaliges organisches Kunstwerk, das sich über die ganze Stadt ausdehnt. Zur documenta 7 (1982) begann der Künst¬ler mit seinem Team 7 000 Bäume zu pflanzen. Damit hat Beuys nicht nur das Stadtbild und das Leben in den Stadttei¬len nachhaltig verändert, sondern auch einen gesellschaftli¬chen Wandel angestoßen. Die Botschaft der „7000 Eichen“ ist in Zeiten des Klimawandels aktueller denn je.
Seit vier Jahrzehnten leben die Stadtbewohner*innen nun mit dem Kunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Proteste, Sympathien und Diskussionen begleiten das Werk seitdem. Inzwischen sind in Kassel grüne Alleen und Verwaldungsinseln gewachsen. Die Bäume be¬gegnen einem auf alltäglichen Wegen und manchmal auch an unwirtlichen Orten der Stadt.
Wir laden Sie mit diesem Spaziergangsführer dazu ein, das Kunstwerk auf sieben thematischen Stadtspaziergängen zu erkunden und für sich zu entdecken. Die Routen sind zwi¬schen drei und sieben Kilometer lang. „Beuys to go“ ist Ihr Spaziergangsbegleiter durch die Stadtteile jenseits der be¬kannten Wege. Sie erfahren, wie alles anfing, welche Hürden zu überwinden waren und was aus den Bäumen geworden ist. Die Jubiläen „100 Jahre Beuys“ (2021) und „40 Jahre 7000 Eichen“ (2022) sind dafür ein schöner Anlass. Nehmen Sie sich Zeit und machen Sie sich auf den Weg!
Wir wünschen Ihnen erlebnisreiche Stadtspaziergänge.
Irene Cramer, Peter Drews, Reiner Wettlaufer
Vorstand der cdw Stiftung
Leseproben
7000 Eichen Stadtverwaldung statt StadtverwaltungJoseph Beuys (1921–1986) überraschte zur documenta_7 im Jahr 1982 mit einer einfachen Idee. Er wollte 7 000 Eichen mit je einem Stein im Stadtgebiet pflanzen und so im direkten Lebensumfeld der Menschen für mehr urbane Lebensqualität sorgen. Die Baumpflanzung sollte ein Zeichen setzen für ein sozial-ökologisches Umdenken. Daraus wurde das bisher aufwändigste und folgenreichste Projekt in der documenta-Geschichte.
Für Beuys war es die konsequente Fortführung seiner künstlerischen Arbeit. Kunst und politisches Engagement des Künstlers verbanden sich immer mehr. Als ihn Rudi Fuchs, der künstlerische Leiter der documenta 7, einlud, war es für Beuys die fünfte documenta-Teilnahme. Schon zur documenta_5 hatte der Aktionskünstler ein „Büro für direkte Demo¬kratie“ eingerichtet. Doch diesmal wollte er raus aus dem Museum.
Kein anderes Kunstwerk hat Kassel so nachhaltig verändert wie die „7000 Eichen“. Ökologische, soziale, politische und künstlerische Aspekte sind darin auf visionäre Weise verbunden und bis heute aktuell. Das dynamische Wachstum des Kunstwerks und seine enorme Ausdehnung über das gesamte Stadtgebiet sind weltweit einmalig.
Eine geniale Provokation
Der Künstler ließ zunächst 7 000 Basaltstelen keilförmig auf dem Friedrichsplatz abladen. Für jeden abgetragenen Stein musste ein Baum gepflanzt werden. Das dauerte insgesamt fünf Jahre. Die erste Eiche setzte Joseph Beuys am 16. März 1982 auf dem Friedrichsplatz ein. Nach dem ersten Jahr lagerten immer noch 6 000 Steine auf dem innerstädtischen Platz. Sie sollten für viele Menschen Steine des Anstoßes bleiben und hitzige Debatten auslösen. Der damalige Oberbürgermeister Hans Eichel nannte den Steinhaufen rückblickend eine „geniale Provokation“. Die Vollendung der Pflanzaktion zur documenta 8 im Jahr 1987 erlebte Beuys nicht mehr. Er starb ein Jahr zuvor. Mit „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ verwirklichte der Künstler seine Idee der Sozialen Plastik.
Wie viel Baum verträgt die Stadt?
Die Realisierung der „7000 Eichen“ war eine Herkulesaufgabe. Der Baumbestand im zentralen Stadtgebiet war nach dem Zweiten Weltkrieg stark reduziert und umfasste 1982 etwa 8 000 Bäume. Nun sollten 7000 dazu kommen. Beuys musste 4,3 Millionen D-Mark zur Finanzierung der Aktion aufbringen. Viele Hindernisse und Einwände waren zu überwinden. Die autofreundlich gestaltete Stadt war auf die Bäume nicht vorbereitet. Bis zu elf städtische Ämter waren in die Planungsprozesse zu den Baumpflanzaktionen des Koordinierungsbüros 7000 Eichen, das von Joseph Beuys eingerichtet worden war, involviert. Vor allem der unterirdischen Infrastruktur aus Rohren und Kabeln galt die Sorge. Das Kunstwerk forderte Lösungen – und die wurden gefunden. Kas¬sel wurde zum Vorbild für andere Städte, die sich hier informierten.
Weil sich die Stadt ständig weiterentwickelt, sind Planungskonflikte mit einem Kunstwerk von der Dimension der „7000 Eichen“ vorbestimmt. Für Joseph Beuys lag der tiefere Sinn seiner Sozialen Plastik gerade darin, die unterschiedlichen Interessen sichtbar zu machen und dennoch zu einer gemeinsam getragenen Gestaltung zu kommen.
Geschenk und Verpflichtung
Die Pflanzaktion wurde von großem Engagement begleitet. Bürger*innen, Vereine, Schulen und Stadtteile packten mit an. Viele Bewohner*innen machten Standortvorschläge. Fast 40 Jahre später sind stattliche Bäume daraus entstanden. 1987 ging das Kunstwerk als Schenkung an die Stadt Kassel über. Seit 2005 stehen die „7000 Eichen“ als Kultur- und Gartendenkmal unter Denkmalschutz. Die Stadt Kassel und die Stiftung 7000 Eichen kümmern sich um die Pflege und den Erhalt dieses organisch wachsenden Kunstwerks.
Die Komponenten des Kunstwerks
Das Kunstwerk „7000 Eichen“ besteht, anders als der Name vermuten lässt, nicht nur aus Eichen. Mehr als 20 verschiedene Baumarten wurden mit Einwilligung des Künstlers gepflanzt – abhängig von den Standortbedingungen und gestalterischen Aspekten. Heute stellt der Klimawandel die größte Herausforderung dar, denn viele Baumarten werden langfristig der Trockenheit und Hitze nicht standhalten.
Soziale Plastik
Beuys entwickelte auf Grundlage eines erweiterten Kunst¬begriffs seine Idee der Sozialen Plastik. Ihn interessierte, wie Kunst gestaltend und verändernd auf die Gesellschaft einwirken kann. Und mehr noch: Könnte nicht jedes Handeln, das die Gesellschaft formt und gestaltet, als kreativ bezeichnet werden? „Jeder Mensch ist ein Künstler“, sagte Beuys. Das Kunstwerk „7000 Eichen“ gilt bis heute als Inbegriff der Sozialen Plastik. All die Diskussionen zwischen Bürger*innen, Wirtschaftsakteuren, Verwaltung und Künstler sind Teil des Kunstwerks. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ ist ein Prozess, der andauert, solange die Bäume wachsen. Deshalb spricht man auch von einer Raum-Zeit-Skulptur.
Hintergrund: Beuys‘ Urprinzip
Im Zentrum von Joseph Beuys‘ plastischer Theorie stehen Gegensatzpaare. Sie sind ein wiederkehrendes Gestaltungsprin¬zip. Es gibt kristalline Formen, dazu zählen starre, geometrische Bestandteile. Und es gibt weiche, organische Formen. In diesem Sinne verbindet der Künstler konträre Paare, wie zum Beispiel: Rationalität und Intuition, Stillstand und Bewegung, Kälte und Wärme, Konzentration und Ausdehnung, Wunde und Heilung. Oder wie bei den „7000 Eichen“: Stein und Baum. Der erste Begriff eines jeden Paares steht für Struktur und Stabilität, der zweite für Veränderung und Entwicklung und somit für Prozesse, die Beuys mit seiner Kunst anstoßen wollte. In seiner Kunst war Heilung ein zentrales Anliegen. Dabei hatte er stets den gesamten Gesellschaftsorganismus im Blick.
Der Baum
Der Baum ist in vielen Kulturen ein Symbol für das Leben. Beuys wählte die Eiche aus, weil sie ein sehr langsam wachsender Baum mit einer Lebensdauer von über 800 Jahren ist. Die Zeitdimension des Kunstwerks weist über viele Menschen¬generationen hinaus und steht für einen tiefgreifenden Wandel. Dazu kommt, dass die Eiche ein kulturgeschichtlich bedeutender Baum ist. Mit ihr sind zahlreiche mythologische, religiöse und historische Assoziationen verbunden. Die Eiche wurde als heiliger Baum verehrt, aber auch politisch und ideologisch instrumentalisiert.
Der Stein
Die Basaltstelen haben einen vulkanischen Ursprung: Sie entstanden aus der Kristallisation von flüssiger Lava und haben häufig eine markante sechseckige Grundform. Die 7000 Basaltstelen stammen unter anderem aus Steinbrüchen im nordhessischen Umland. Als feste mineralische Masse wird der Stein zum Wächter des jungen Baums und versorgt den Baum über die Jahrhunderte mit Spurenelementen. Steine gelten als urzeitliche Monumente. In vielen Kulturen waren sie als Altar- und Opfersteine Teil religiöser Rituale.
Das Paar
Beuys war es wichtig, dass Baum und Stein immer zusammen in das Pflanzloch gesetzt werden und eine Art Lebensgemeinschaft bilden. Der kristalline Stein steht für den Tod und weist in die Vergangenheit. Der Baum verbildlicht das Leben und weist in die Zukunft. Die Baum-Stein-Beziehung steht für den Wandel. Das Größenverhältnis der Komponenten kehrt sich mit der Zeit um. Vielfach haben die Bäume inzwischen einen größeren Durchmesser als die Steine.
Finanzierung und Realisierung
Aus dem Etat der documenta war so ein Großprojekt wie die „7000 Eichen“ nicht finanzierbar. Das Werk war mit 4,3 Millionen D-Mark eine der teuersten Kunstaktionen seiner Zeit. Die New Yorker Dia Art Foundation leistete eine Anschubfinanzierung.
Zur weiteren Finanzierung sollten Spenden von Privatleuten, Firmen und Institutionen beitragen. Ein Baum kostete 500 D-Mark – inklusive Basaltstele, Transport und Pflanzung. Obwohl Beuys international äußerst populär war, kam zunächst nicht genug Geld für das Projekt zusammen, sodass er einen Großteil selbst beschaffen musste: Er verkaufte Editionen, trat in einem Werbespot auf und lieferte eine spektakuläre Kunstaktion noch während der documenta_7.
Einschmelzung der Zarenkrone
Am 30. Juni 1982 zerlegte Beuys in einer Aktion vor Publikum eine wertvolle Replik der Krone des Zaren Iwans des Schreckli¬chen und schmolz sie ein. Die Replik hatte ein Düsseldorfer Gastronom gestiftet. Daraus goss Beuys einen „Friedenshasen“, der für 777.000 D-Mark (397.000 Euro) an einen Sammler verkauft wurde.
Künstlersolidarität
Etwa eine Million D-Mark brachte eine so¬lidarische Kunstauktion im April 1985 ein, die von der Kunsthalle Tübingen zugunsten der „7000 Eichen“ initiiert worden war. 34 Künstler hatten dafür Kunstwerke beigesteuert. Zu ihnen zählten unter anderem Jannis Kounellis, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Walter Dahn und Tony Cragg.
Stadtverwaltung und Koordinationsbüro 7000 Eichen
Auch die Kasseler Stadtverwaltung trug zur Stadtverwaldung bei, indem sie zu Beginn Fahrzeuge und Infrastruktur zur Verfügung stellte und später die Pflege der Bäume übernahm. 1999 bekannte sich das Stadtparlament einstimmig zu den „7 Thesen zum Kunstwerk 7000 Eichen“, einer Art Manifest mit Beschlusskraft. Der Erhalt des Kunstwerks ist Aufgabe und Absicht der Stadtverwaltung.
Die wesentliche Arbeit zwischen 1982 und 1987 leistete das von Beuys eingerichtet FIU-Koordinationsbüro 7000 Eichen, das das gesamte Unternehmen steuerte. Es nahm Wünsche der Bürger*innen entgegen, entwickelte eigene Standortvorschläge und Pflanzkonzepte und verhandelte mit der Stadt und dem Gartenamt.
Ausblick
Die „7000 Eichen“ greifen als gewachsener und weiter wachsender Organismus in die visuelle, ökologische und soziale Struktur des urbanen Lebensraumes ein. Sie sind ein großes Geschenk für Kassel und eine ständige Verpflichtung. Ihr visionäres und utopisches Potenzial wird in Zeiten des Klimawandels deutlicher denn je. Sie inspirieren dazu, das zu tun, was notwendig ist.