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Euregioverlag - Kassel & Region, Kunst & Kultur
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Flemming, Jens und Vanja, Christina
"Dieses Haus ist gebaute Demokratie"
Das Ständehaus in Kassel und seine parlamentarische Tradition



Mit Beiträgen von Peter Barkey, Gerd Fenner, Jens Flemming, Ewald Grothe, Dirk Hainbuch, Heinrich Kunze, Walter Mühlhausen, Winfried Speitkamp und Christina Vanja



Umfang: 152 Seiten, DIN A4, mit vielen farbigen Abbildungen, Fadenheftung, Hardcover



euregioverlag 2007

ISBN: 978-3-933617-30-9
Preis: 19.90 €
(Preis inkl. Mehrwertsteuer zzgl. Versandkosten)
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Rezensionen
„Ausreichend bebildert ist der großformatige Band für den historisch Interessierten ein reiches Werk.“ (Kulturmagazin K)
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Das Ständehaus in Kassel ist das älteste Parlamentsgebäude in Hessen. Der Bau im Stil der Neorenaissance gehört zu den wenigen repräsentativen Häusern der Stadt an der Fulda, welche die Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges relativ unbeschadet überstanden haben. Erbaut wurde das Ständehaus in den Jahren 1834 bis 1836 nach Plänen des Kasseler Baumeisters Julius Eugen Ruhl für die kurhessische Ständeversammlung. In dem von documenta-Gründer Arnold Bode nach dem Zweiten Weltkrieg neu gestalteten Ständesaal tagt heute das „hessische Sozialparlament“ und setzt damit die Tradition des Hauses als „gebaute Demokratie“ fort.
Inhalt
Vorwort 7



Gerd Fenner

„Ein sichtbares Denkmal der Verfassung“ – Das Ständehaus in Kassel 11



Winfried Speitkamp

Vorkonstitutionelle Landtage, Reformpolitik und Verfassungsfrage in Kurhessen 41



Ewald Grothe

Im Zeichen des „permanenten Verfassungskonflikts“.

Parlamentarismus in Kurhessen zwischen Verfassungsgebung und Annexion 49



Jens Flemming

„Eindringen des preußischen Geistes in die neuen Landesteile“.

Der Kommunallandtag für den Regierungsbezirk Kassel, 1868–1919 59



Dirk Hainbuch

Der Kasseler Kommunallandtag

in der Weimarer Republik bis zu seiner Auflösung 1933 73



Walter Mühlhausen

Der Kommunalausschuss im Wiederaufbau 1945–1952 81



Christina Vanja

Gründung und Aufbaujahre des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen 103



Peter Barkey

Das Hessische Sozialparlament

– Die Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen

als Garant und Motor sozialer Infrastruktur 113



Heinrich Kunze

Das LWV-Parlament und die Psychiatriereform

– Ein Rückblick aus persönlicher Erfahrung 119



Peter Barkey

Aufgabenentwicklung der überörtlichen

Sozialhilfe beim Landeswohlfahrtsverband Hessen 1953 bis 2003 131



Autorinnen und Autoren 146



Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen 149
Vorwort
Die Beiträge dieses Buches betrachten und diskutieren verschiedene Etappen der Verfassungsgeschichte und Verfassungspolitik in Kurhessen, im Regierungsbezirk Kassel und im Bundesland Hessen. Dies bedeutet zugleich, das Augenmerk auf Elemente einer innerstaatlichen Integrationsgeschichte und Integrationspolitik zu lenken. Der Ort, an dem sich dies kristallisiert, ist das Ständehaus in Kassel, das älteste Parlamentsgebäude in Hessen. Erbaut in den Jahren 1834 bis 1836 nach Plänen des Kasseler Baumeisters Julius Eugen Ruhl, wurde es am 22. November 1836 mit einer Sitzung der damaligen Ständeversammlung des Kurstaates eröffnet und seiner Bestimmung übergeben. Der Kasseler Oberbürgermeister Schomburg hat in diesem Zusammenhang den Wunsch geäußert, das Bauwerk möge ein „sichtbares Denkmal“ der Verfassung sein, von dem noch die Nachwelt reden sollte. Gemeint war die Verfassung von 1831, ein in der Tat bemerkenswertes Dokument des deutschen Frühkonstitutionalismus. Ganz ähnlich fiel dann 150 Jahre später das Urteil des Architekturhistorikers Siegfried Lohr aus, der im Ständehaus ein Stück „gebauter Demokratie“ sehen wollte. Bei so viel Lob erstaunt, dass die parlamentarischen Traditionen, die sich hier begründet haben, im Bewusstsein der Stadt kaum Spuren hinterlassen haben. Schon die repräsentative „Geschichte der Residenzstadt Cassel“ von Hugo Brunner, 1913 zur Tausendjahrfeier erschienen, hatte hier den Kammerton angeschlagen, erwähnte das Ständehaus zwar, aber nicht als Teil der Demokratie-, sondern als Teil der städtischen Planungs- und Baugeschichte – und selbst das nur überaus knapp.



Das Ständehaus als Raum in Erinnerung zu rufen, in dem sich ein zunächst kurhessisch, später preußisch, dann hessisch geprägter Parlamentarismus entfaltete, ist das Anliegen der folgenden Aufsätze. Sie sind hervorgegangen aus einer Tagung im November 2006, die einen weiten Bogen von den Anfängen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart spannte. Die Historie, die sie erzählen, ist die eines fortwährenden verfassungspolitischen Wandels. Sie liest sich über weite Strecken wie die Bestätigung jenes viel zitierten Satzes des Sozialdemoraten Ferdinand Lassalle, der 1862, im Angesicht des preußischen Verfassungskonflikts, gemeint hatte, Verfassungsfragen seien in erster Linie nicht „Rechts-, sondern Machtfragen“, Verfassungen mithin nur der Ausdruck jeweils herrschender Machtverhältnisse, die nur solange Bestand hätten wie diese. Schon die kurhessische Charta von 1831 wurde viermal verändert: 1848 als Ergebnis der Revolution, 1852 am Beginn der Ära der Reaktion, 1860 als eine letzte Manifestation kurfürstlichen Machtwillens, dann 1862, erzwungen durch preußischen Druck, die Revision, will sagen: die Rückkehr zur Verfassung von 1831. In die kommunalständische Neuordnung nach der Annexion durch Preußen und die damit verbundene Schaffung eines Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, der sich 1868 konstituierte, wurde dreimal eingegriffen, zum einen 1886 im Blick auf das Wahlreglement durch das Inkrafttreten der Kreis- und Provinzialordnung von 1885, zum andern 1919, als sich die Weimarer Republik etablierte, durch Demokratisierung und Politisierung, und schließlich 1933 im Zeichen von Gleichschaltung und Führerprinzip durch die Liquidierung des Landtags durch die Nationalsozialisten. 1953 dann der Neubeginn, für den das „Gesetz über die Mittelstufe der Verwaltung und den Landeswohlfahrtsverband Hessen“ den Rahmen absteckte. Der Bezirkskommunalverband Kassel wurde ebenso aufgelöst wie der in Wiesbaden. Ein Teil der ihm obliegenden Aufgaben ging auf den Staat über, der andere, auf die Förderung der Volkswohlfahrt zielende, wurde dem Landeswohlfahrtsverband Hessen überantwortet, der sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts um die Ausgestaltung der sozialen Infrastruktur kümmert. Das Ständehaus erfuhr damit zum dritten Mal in seiner Geschichte einen funktionalen Wandel: Nach Ständeversammlung und Kommunallandtag beherbergt es seit nunmehr über fünf Jahrzehnten das durch die Stadtverordneten der kreisfreien Städte und die Kreistagsabgeordneten gewählte hessische Sozialparlament.



Am Beginn des Buches steht Gerd Fenners (Kassel) Analyse der Planungs- und Baugeschichte, einer detaillierten Beschreibung und Interpretation der Stilelemente des Bauwerks selber sowie der Rezeption durch die Zeitgenossen und die Nachlebenden. Es schließen sich zwei Beiträge an, die den Fokus auf die Verfassungsverhältnisse in Kurhessen zwischen 1806 und 1866 richten. Winfried Speitkamp (Gießen) untersucht die Gründe für das Scheitern der Reformimpulse nach der Napoleonzeit. In Gestalt des Königreichs Westphalen hatten diese zunächst so etwas wie einen verfassungspolitischen Modernisierungsschub gebracht, und sie wurden von der kurhessischen Beamtenschaft auch mitgetragen. Nach der Wiederherstellung des Kurstaates scheiterten sie aber am Widerstand des Monarchen. Ewald Grothe (Wuppertal) beschreibt die Phase des kurhessischen Parlamentarismus zwischen 1831 und 1866 als Geschichte permanenter Konflikte zwischen den Partizipationsbedürfnissen der Ständeversammlung und dem Beharren des Kurfürsten auf seinen Prärogativen. Darin zeigten sich die Grenzen einer Politik des Ausgleich und der Kooperation zwischen Monarch und Bürgertum, wiewohl darüber das nicht vergessen werden darf, was Grothe den parlamentarischen Alltag nennt, in dem unterhalb der großen, der Prinzipienfragen, durchaus ergebnisorientiert gearbeitet worden ist.



Jens Flemming (Kassel) leitet über zur Entstehung und Entwicklung des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, fragt nach den Integrationskräften, die mit der Errichtung dieser Körperschaft frei gesetzt wurden, skizziert deren Zusammensetzung, das dort vorwaltende Selbstverständnis und einige der getroffenen Entscheidungen. Dirk Hainbuch (Kassel) beschäftigt sich mit dem Kommunallandtag in der Weimarer Republik. Er arbeitet die Demokratisierung des Parlaments heraus, aber auch deren Kehrseite, nämlich Politisierung und Polemik, die namentlich die radikalen Parteien von links und rechts, die Kommunisten und die Nationalsozialisten, in die Beratungen hineintrugen. Deutlich wird nicht zuletzt, wie schwer es war, die angestammten sozialpolitischen Aufgaben im Angesicht der Inflation und der Weltwirtschaftskrise befriedigend zu lösen. Walter Mühlhausen (Heidelberg) widmet sich der Übergangszeit nach dem Zusammenbruch der braunen Diktatur, analysiert den Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung in Hessen, würdigt die herausragende Rolle des Sozialdemokraten Georg Häring, auf dessen Initiative ein Beirat eingerichtet wurde, der die Aufgaben des früheren Kommunallandtags und des Landesausschusses übernahm. Christina Vanja (Kassel) spinnt den Faden fort, vergegenwärtigt die Gründung und die Aufbaujahre des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen seit 1953, stellt dessen organisatorischen Aufbau vor, den Verwaltungsausschuss und die Verbandsversammlung als oberstes Beschlussorgan, deren Zusammensetzung und Beschlüsse, hier vor allem diejenigen, die auf Modernisierung der Landesheilanstalten zielten. Peter Barkey (Kassel) zieht diese Linie weiter aus, macht deutlich, in welch starkem Maße kommunalpolitischer Sachverstand im Sozialparlament versammelt war und ist. Heinrich Kunze (Bad Emstal/Kassel) schildert aus eigenem Erleben und als Mitakteur die Geschichte der Psychiatrie-Reform in den 1970er Jahren. Dabei wird erkennbar, dass sich nicht nur die realen Versorgungsangebote für psychisch Kranke, sondern auch die Sichtweisen der verantwortlichen Politiker grundlegend zugunsten einer Normalisierung des Lebens behinderter Menschen wandeln mussten. Die LWV-Verbandsversammlung war hierbei zum Teil Motor, zum Teil Nachvollzieherin von Modernisierung und Humanisierung. Den Abschluss den Bandes bildet ein weiterer Beitrag von Peter Barkey, der aus der Perspektive des verantwortlichen Trägers die Entwicklung der überörtlichen Sozialhilfe als eine der zentralen Aufgaben des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen vorstellt. Im Rückblick auf finanzielle Aspekte der Sozialhilfe im Zeitraum von 50 Jahren wird vor allem der durch das hessische „Sozialparlament“ mitgestaltete grundlegende Wandel der Hilfeleistungen von der anfänglichen Fürsorge zur heute dominierenden Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen deutlich.



Diese drei abschließenden Beiträge geben Einblick in das auch heute noch lebhafte parlamentarische Geschehen im Innern des Kasseler Ständehauses. Es vollzieht sich weniger turbulent als zu Zeiten des kurhessischen Ministers Hassenpflug, der dem damaligen Landtag beständig mit dem Damoklesschwert der Auflösung drohte. Umso mehr kann das heutige „Sozialparlament“ jedoch für die eingangs hervorgehobene Integrationspolitik im Land Hessen tun.



Wir hoffen, dass dieses Buch nicht nur dazu beiträgt, das historisch wegweisende Parlamentsgebäude des Landes und einen der bedeutendsten Orte in der Stadt Kassel (erneut) bekannt zu machen, sondern auch Interesse für die aktuelle Arbeit in diesem Haus „gebauter Demokratie“ zu wecken.



Jens Flemming

Christina Vanja
Leseproben
Aus: Gerd Fenner: „Ein sichtbares Denkmal der Verfassung“– Das Ständehaus in Kassel



Die Beurteilung des Bauwerks durch die Zeitgenossen und im weiteren 19. Jahrhundert war von der Unsicherheit und den Auseinandersetzungen um die Frage des „richtigen“ Architekturstils bestimmt. Zunächst soll mit den Worten Dingelstedts ein Eindruck der ewig gültigen, von Fachkenntnissen unbelasteten prosaischen Kasseler Volksmeinung aus der Zeit der Vollendung des Hauses vermittelt werden: „Unter dem Publikum aber gibt’s über den Neubau vornehmlich zwei Stimmen: eine lobt, weil das Haus hier gemacht ist. Das sind die echten kurhessischen Naturen, die den Zopf in die Anke werfen, bewundernd daran herumgucken und am Ende ausrufen: ‚Ne, was die Menschen mit der Zeit alles erfinden und erbauen, und alles zu Hause.’ Die andere Stimme gehört dem tieferen Volk, den Mißvergnügten, und diese hat einen treffenden Witz für das neue Ständehaus erfunden; die nennen’s den Packwagen, wegen des gestreckten Ausbau’s und der runden, kuppelförmig abgeschlossenen Abtheilung vorne. Mit so einem Witz ist die Sache auch abgetan, der geht in’s Leben über und wirkt mehr als ein ganzer Band artistischer Kritiken.“ ...
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